Sport und Schwangerschaft? Für viele klingt das zunächst nach einem Widerspruch – dabei empfiehlt die moderne Medizin heute das genaue Gegenteil. Regelmässige, moderate Bewegung stärkt Körper und Psyche, senkt Risiken und kann sogar den Geburtsverlauf sowie die Erholung danach positiv beeinflussen. Entscheidend ist: auf den eigenen Körper hören und mit der richtigen Dosierung trainieren. Für diesen Beitrag haben wir mit Frau Dr. Marthaler über die medizinischen Empfehlungen gesprochen – und Mujinga Kambundji erzählt uns, wie sie das Thema als Profisportlerin erlebt hat.
Frau Dr. Marthaler, warum ist Bewegung in der Schwangerschaft aus medizinischer Sicht grundsätzlich empfehlenswert?
Bewegung verbessert Ausdauer, Kreislauf und Sauerstoffversorgung, stärkt Rücken- und Bauchmuskulatur und beugt Rückenschmerzen und Beckeninstabilität vor. Sie unterstützt ein gesundes Körpergewicht und senkt das Risiko einer übermässigen Gewichtszunahme. Darüber hinaus reduziert regelmässige Aktivität das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck, verringert Wassereinlagerungen, Krampfadern und das Thromboserisiko. Auch der Geburtsverlauf kann durch gute körperliche Fitness erleichtert werden – und sportliche Frauen erholen sich nach der Geburt meist schneller. Dies liegt vor allem an der besseren Körperwahrnehmung, die Sportlerinnen haben. Bewegung wirkt sich zudem positiv auf die Psyche aus: Stress und Ängste werden reduziert, ein besserer Schlaf gefördert. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass die neuromotorische Entwicklung des Kindes profitieren kann. Wichtig ist allerdings: Frauen, die bisher keinen Sport betrieben haben, sollten nicht plötzlich mit intensivem Training beginnen – ein sanfter Einstieg ist immer die bessere Wahl.
Welche Formen von Bewegung sind besonders geeignet – und welche eher zu vermeiden?
Empfehlenswert sind Ausdauersportarten wie Spazierengehen, Walking, leichtes Joggen, Radfahren oder Fitnesstraining. Auch sanfte Kräftigungs- und Stabilisationsübungen – etwa Pilates, Yoga oder leichtes Krafttraining – sind ideal. Grundsätzlich können Schwangere die Sportarten fortführen, die sie schon vor der Schwangerschaft ausgeübt haben – allerdings in moderaterem Umfang. Kampf-, Ball- und Kontaktsportarten sind eher zu vermeiden, aber das gilt nur für Neueinsteigerinnen. Schwangere Frauen hören mit zunehmenden Bauchwachstum ohnehin von selbst auf. Auch gegen Judo, Hockey oder Basketball bis etwa zur 18. bis 25. Schwangerschaftswoche spricht nichts, solange sich eine Frau wohl und beweglich fühlt. Der richtige Zeitpunkt für eine Pause ist sehr individuell.
Wie verändert sich der Körper im Verlauf der Schwangerschaft und was bedeutet das für das Training?
Mehrere körperliche Veränderungen spielen eine Rolle:
- Hormonelle Umstellung: Die Konzentration von Hormonen wie Östrogen, Progesteron und Relaxin steigt stark an. Relaxin lockert Bänder, Sehnen und Gelenke, um den Körper auf die Geburt vorzubereiten. Durch die instabileren Gelenke steigt die Verletzungsgefahr beim Sport.
- Kreislauf: Das Blutvolumen nimmt um etwa 30 Prozent zu – das ist rund ein Liter mehr als üblich. Das Herzminutenvolumen steigt und der Ruhepuls nimmt um ca. 10-15 Schläge pro Minute zu, während der Blutdruck im zweiten Trimester leicht sinken kann. Sinkender Blutdruck und steigender Puls werden oft als sehr unangenehm empfunden. Die Trainingsintensität sollte daher eher nach Körperwahrnehmung als nach Herzfrequenz gesteuert werden. Bei der Herzfrequenz sollte man ca. 10 Schläge unter dem nicht schwangeren Maximum bleiben. Überhitzung gilt es zu vermeiden, da die Thermoregulation in der Schwangerschaft belastet sein kann. Regelmässige Pausen und ausreichendes Trinken sind wichtig.
- Atmung: Das Zwerchfell wird nach oben gedrückt, wodurch sich die Atemfrequenz erhöht. Frauen haben dann das Gefühl, nicht mehr so gut Luft zu bekommen. Eine gute Faustregel ist deshalb: Die Intensität so wählen, dass man sich während des Trainings problemlos unterhalten kann.
- Körperhaltung: Durch den nach vorne verlagerten Schwerpunkt wird die Lendenwirbelsäule stärker belastet, was zu Rückenschmerzen führen kann. Deshalb ist im Training ein gezieltes Rumpf- und Balancetraining besonders wichtig.
Gibt es bestimmte Trimester-abhängige Empfehlungen oder Einschränkungen?
Im ersten Trimester ist grundsätzlich alles erlaubt – sofern sich die Frau wohlfühlt. Übelkeit und Müdigkeit schränken die Leistungsfähigkeit oft etwas ein. Im zweiten Trimester fühlen sich viele Frauen am fittesten; hier ist fast alles möglich und erlaubt, einfach moderater und auf den eigenen Körper hören. Im dritten Trimester wird das Training naturgemäss beschwerlicher. Entscheidend ist: Spass an der Bewegung und kein übertriebener Ehrgeiz.
Welche Mythen oder Vorurteile begegnen Ihnen in der Beratung besonders häufig?
Leider kursieren noch immer viele veraltete Vorstellungen. Ein paar Beispiele:
- «Schwangere sollen sich schonen und keinen Sport treiben.»
Falsch. Regelmässige, moderate Bewegung wird von allen grossen Fachgesellschaften (WHO, SGGG, DGGG, ACOG, RCOG etc.) ausdrücklich empfohlen. Sportliche Frauen haben gesündere Schwangerschaften und bessere Erholungsphasen. - «Sport kann eine Fehlgeburt auslösen.»
Falsch – und einfach nur Unsinn. - «Der Puls darf 140 Schläge pro Minute nicht überschreiten.»
Falsch bzw. überholt. Der Puls ist individuell. Wie bereits erwähnt, sollte die Intensität so gewählt werden, dass man sich während des Trainings problemlos unterhalten kann («Talk Test»). - «Nur wer vor der Schwangerschaft sportlich war, darf trainieren.»
Falsch. Auch Einsteigerinnen dürfen aktiv sein – mit Bedacht und gegebenenfalls mit professioneller Begleitung. - «Bauchübungen sind verboten.»
Nur teilweise richtig. Klassische gerade Sit-ups sind ungünstig, weil sie den Druck im Bauchraum und das Risiko für eine Rektusdiastase (das Auseinanderweichen der beiden Hälften des geraden Bauchmuskels entlang der bindegewebigen Mittellinie) erhöhen. Schräg verlaufende Bauchmuskelübungen sind dagegen sinnvoll. - «Joggen schadet dem Baby.»
Falsch. Moderates Joggen ohne grosse Erschütterungen ist erlaubt, solange es sich gut anfühlt. - «Krafttraining ist gefährlich.»
Falsch. Richtig ausgeführt stärkt es Rücken, Beine und Beckenboden und ist empfehlenswert.
Wann raten Sie zu einer Trainingspause oder Anpassung des Trainings – und wie wichtig ist das Thema Selbstbeobachtung?
Selbstbeobachtung ist enorm wichtig. Der Körper signalisiert sehr deutlich, wenn etwas zu viel wird. Wer auf sich hört, nicht zu viel will und den gesunden Menschenverstand einschaltet, macht selten etwas falsch. Natürlich gilt: Bei ernsthaften Komplikationen wie vorzeitigen Wehen, einem vorzeitigen Blasensprung oder einer Schwangerschaftsvergiftung ist Sport nicht mehr ratsam.
Mujinga, wie hast du dein Training während der Schwangerschaft angepasst – und was hat dir dabei geholfen, auf deinen Körper zu hören?
Zu Beginn habe ich kaum etwas angepasst. Das Training ging wie gewohnt weiter und ich habe in dieser Phase auch noch Wettkämpfe bestritten. Erst später habe ich das Trainingsvolumen schrittweise reduziert: von fünf auf vier und dann auf drei Trainings pro Woche. Ich konnte sehr lange recht intensiv trainieren, zumal ich mich körperlich immer gut gefühlt habe. Erst gegen Ende des Sommers haben wir das Training runtergefahren. Im Herbst habe ich dann nur noch zwei Mal pro Woche leicht trainiert. Was mir geholfen hat, gut auf meinen Körper zu hören, ist meine langjährige Erfahrung im Spitzensport. Wir Profisportler sind es gewohnt, täglich genau wahrzunehmen, wie wir uns fühlen und entsprechend zu reagieren. Dadurch habe ich schnell gemerkt, was ich noch machen kann und was wir weglassen müssen.
Was bedeutet Bewegung für dich persönlich in dieser besonderen Lebensphase?
Bewegung war für mich schon immer zentral – erst als Leidenschaft, dann als Beruf. Jetzt hat sie eine andere Bedeutung: Es geht weniger um Leistung, sondern darum, körperlich fit und gesund zu bleiben. Ich weiss, dass Sport in der Schwangerschaft gut ist – für mich und auch für das Baby. Deshalb trainiere ich jetzt nicht mehr nur «für mich», sondern auch für den kleinen Menschen in meinem Bauch.
Gab es Momente, in denen du deinen Körper oder deine Leistungsfähigkeit anders wahrgenommen hast?
Der grösste körperliche Unterschied war gegen Ende des ersten Trimesters spürbar, als durch die hormonellen Veränderungen Bänder, Sehnen und Muskeln «weicher» wurden. Es war der Moment, in dem ich gemerkt habe: Mein Körper stellt sich um – weg vom Hochleistungsmodus, hin zur Schwangerschaft. Das kam für mich insofern etwas überraschend, als sich äusserlich anfangs noch wenig abgezeichnet hatte. Trotzdem war es schön zu spüren, dass mein Körper natürlicherweise alles richtig macht und sich auf das vorbereitet, was kommt. Der Bauchzuwachs war ebenfalls speziell – man gewöhnt sich aber erstaunlich schnell daran.
Wenn du an die Zeit nach der Geburt denkst: Worauf freust du dich am meisten, wenn es um Bewegung und Sport geht?
Ich freue mich am meisten darauf, nach der Geburt wieder gezielt trainieren zu können, um Fortschritte zu machen und mein Leistungsniveau wieder aktiv aufzubauen. Während der Schwangerschaft ging es in erster Linie darum, das bestehende Niveau so lange wie möglich zu halten. Später wurde der Fokus eher daraufgelegt, den natürlichen Leistungsrückgang möglichst langsam und kontrolliert «geschehen» zu lassen – was sehr gut gelungen ist. Diese Phase bestand mehr aus «Stabilisieren» als «Entwickeln». Nach der Geburt möchte ich wieder von Grund auf anfangen, meinen Körper Schritt für Schritt aufbauen und zurück in den Leistungssportkörper finden. Ich geniesse die Schwangerschaft sehr und all das, was sie mit sich bringt. Gleichzeitig freue ich mich aber auch darauf, wieder an meinem Körper arbeiten zu können – mit dem Ziel, auf der Bahn wieder Höchstleistungen zu erbringen.
Hirslanden ist Medical Partner von Mujinga Kambundji
Als stolze Partnerin von Mujinga Kambundji begleitet Hirslanden die Profisportlerin ganzheitlich – von der sportmedizinischen Betreuung über Prävention und Regeneration bis hin zu Themen wie Schwangerschaft, Geburt und Rückkehr in den Leistungssport.
Unsere Spezialistin
Dr. med. Christine Marthaler ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Partnerärztin am Hirslanden Salem-Spital in Bern. Sie begleitet Frauen durch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett – darunter auch Profisportlerin Mujinga Kambundji.
Mujinga Kambundji (33) ist die schnellste Frau der Schweiz und zweifache Schweizer Sportlerin des Jahres. Ihre Landesrekorde über 60 m, 100 m und 200 m sind Weltklasse. 2019 gewann sie WM-Bronze über 200 m. 2022 wurde sie Hallen-Weltmeisterin über 60 m und holte an den Europameisterschaften Gold (200 m) und Silber (100 m). 2024 verteidigte sie ihren EM-Titel über 200 m und kürte sich 2025 abermals zur Weltmeistmeisterin über 60 m. Seit 2019 profitiert die Sprinterin dank ihrer Partnerschaft mit Hirslanden von einer engen medizinischen Betreuung.