Um langfristig Höchstleistungen zu erbringen, braucht es mehr als intensives Training – eine nachhaltige Strategie kombiniert gezielte medizinische Betreuung, intelligente Trainingssteuerung und bewusste Regeneration. Im Interview erläutert Panka Nagy, Expertin MSK Physiotherapie, wie Sportlerinnen und Sportler Übertraining vermeiden und ihre Leistungsfähigkeit langfristig erhalten. Mujinga und Ditaji Kambundji teilen ihre persönlichen Erfahrungen, wie sie mit medizinischer Unterstützung, individueller Belastungssteuerung und regenerativen Massnahmen ihre Performance nachhaltig verbessern.
Frau Nagy, Sie sind Expertin MSK Physiotherapie. Was heisst das genau?
MSK steht für Muskuloskelettales System – also alles, was Muskeln, Knochen, Gelenke, Sehnen, Bänder und Faszien betrifft. Ich beschäftige mich in der Physiotherapie mit der Diagnostik, Behandlung und Prävention von Beschwerden und Erkrankungen des Bewegungsapparats.
Wer kommt zu Ihnen?
Meist sind es ambitionierte Hobbysportlerinnen und Hobbysportler, die mich aufsuchen. Und allgemein Personen mit Beschwerden des Bewegungsapparates, zum Beispiel wenn sie unter Rücken- oder Knieschmerzen leiden oder eine Operation hinter sich haben.
Viele ambitionierte Hobbysportler:innen wollen Höchstleistungen erbringen und fordern sich im Training stark. Wann ist «viel» zu viel – und woran erkennt man das?
Zu viel ist es, wenn Sportlerinnen und Sportler trotz weiterem Training einen unerklärlichen Leistungsabfall feststellen. In diesem Fall spricht man vom Übertrainings-Syndrom. Wird es erkannt, ist die Person bereits im Übertraining. Grundsätzlich unterscheidet man drei Stufen: Die erste Stufe ist die sogenannte funktionelle Überlastung (Functional Overreaching). Hier wird die Belastung bewusst für ein bis zwei Wochen gesteigert – etwa durch mehr Trainingsvolumen, höhere Intensität oder kürzere Pausen. Zunächst kommt es zu einem spürbaren Leistungsabfall, mehr Müdigkeit und stärkerer Erschöpfung. Nach einer gezielten Erholungsphase folgt jedoch die gewünschte Superkompensation: Die Leistungsfähigkeit steigt über das ursprüngliche Niveau hinaus.
Und wie sieht die zweite Stufe aus?
Das ist die sogenannte nicht-funktionelle Überlastung (Non-functional Overreaching). Hierbei ist die Belastung entweder zu hoch oder dauert zu lange an. Im Unterschied zur funktionellen Überlastung führt sie nicht zu einer Leistungssteigerung, sondern trotz Erholungsphase zu Stagnation oder Leistungsabfall. Diese Phase ist ein Warnsignal: Wenn Sportler:innen erkennen, dass Training und Erholung nicht mehr im Gleichgewicht sind, können sie rechtzeitig gegensteuern. Bleibt das unbemerkt, droht der Übergang in die dritte und deutlich schwerwiegendere Stufe: das Übertrainings-Syndrom.
Woran erkennen Sportler:innen, dass sie am Übertrainings-Syndrom leiden?
Leiden sie am Übertrainings-Syndrom, sind die biologischen, hormonellen und neurochemischen Regulationsmechanismen aus dem Gleichgewicht geraten. Das kann zu körperlichen Symptomen wie zu einem deutlichen Leistungsabfall führen, zu übermässigem Schwitzen, chronischer Müdigkeit, Energielosigkeit sowie zu einer höheren Anfälligkeit für Verletzungen und Infekte aufgrund einer geschwächten Immunabwehr. Auch Schlafstörungen, aussergewöhnliche Muskel- und Gelenkbeschwerden, ein erhöhter Ruhepuls oder Appetitlosigkeit sind typisch. Zu den psychischen Symptomen zählen Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Motivationsverlust, Antriebslosigkeit, Konzentrationsprobleme und – in schweren Fällen – depressive Verstimmungen. Physiologische Veränderungen sind ein Ungleichgeweicht im Hormonhaushalt, Veränderungen im vegetativen Nervensystem sowie eine geschwächte Immunfunktion. Spätestens dann merken Sportlerinnen und Sportler, dass etwas nicht mehr stimmt.
Wie lässt sich Übertraining medizinisch erkennen?
Die Diagnose Übertraining zu stellen, ist gar nicht so einfach. Meist handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, dass wir zunächst andere mögliche Krankheiten ausschliessen, z. B. mithilfe von Labortests oder validierten Fragebögen. Oder wir vergleichen Leistungstests, wenn sie regelmässig gemacht wurden, um zu sehen, wie lange ein Leistungsdefizit bereits besteht. Und nicht zuletzt ist das Gespräch mit den Athletinnen und Athleten zentral, dass wir ihnen gut zuhören. Oft haben sie selbst schon körperliche oder mentale Veränderungen wahrgenommen, die wertvolle Hinweise liefern.
Was kann man gegen das Übertrainings-Syndrom tun?
In erster Linie gilt es, das Training und die Trainingsintensität zu reduzieren und detailliert anzuschauen, was die Sportlerin oder der Sportler in dieser Phase braucht – sei es mehr Ruhe, eine längere Erholungszeit oder eine bessere Qualität der Regeneration. Wichtig ist, das Übertrainings-Syndrom ernst zu nehmen und konsequent gegenzusteuern. Ziel ist es, dass die Sportler:innen wieder aus dieser Phase herauskommen. Wir erklären ihnen dann jeweils, dass sie langfristig von mehr Leistungsfähigkeit und Stabilität profitieren, wenn sie sich jetzt mässigen und Erholung zulassen.
Welche Trainingsansätze haben sich im Spitzensport als besonders nachhaltig erwiesen?
Nachhaltig ist vor allem eine individuelle und systematische Trainingsplanung, bei der Belastung und Erholung im richtigen Verhältnis stehen. Diese Balance variiert von Sportler:in zu Sportler:in. Im Vordergrund muss immer die Gesunderhaltung stehen, nicht der kurzfristige Erfolg um jeden Preis.
Ein bewährter Ansatz ist die Periodisierung. Dabei wird das Training über einen längeren Zeitraum gezielt strukturiert. So lassen sich die Belastungen schrittweise steigern, die Höchstform zu einem gewünschten Zeitpunkt – etwa bei einem Wettkampf – erreichen und gleichzeitig Überlastung oder Übertraining vermeiden. Denn niemand kann dauerhaft auf höchstem Leistungsniveau trainieren oder Wettkämpfe bestreiten.
Wie unterstützen Sie Athlet:innen konkret dabei, Erholungsphasen gezielt einzuplanen und individuell zu gestalten?
Studien zeigen: Aufklärung ist der wichtigste Schritt. Wenn Athlet:innen verstehen, weshalb Erholung so entscheidend ist, schenken sie der Regeneration auch mehr Aufmerksamkeit. Ebenso wichtig ist, dass sie lernen, auf den eigenen Körper zu hören und diesem zu vertrauen. Spüren sie Müdigkeit oder ein Unwohlsein, sollten sie dies offen mit ihrem Trainer oder ihrer Trainerin besprechen. Die Aufgabe der Trainer:innen besteht wiederum darin, aufmerksam zuzuhören und gemeinsam mit den Sportler:innen individuelle Wege zu finden, wie Erholung am wirksamsten gelingt.
Welchen Einfluss hat Ernährung auf die Leistungsentwicklung – insbesondere im Zusammenspiel mit medizinischer Betreuung?
Eine ausreichende und ausgewogene Ernährung ist ein zentraler Baustein für Leistungsfähigkeit und Erholung. Bekommt der Körper über längere Zeit zu wenig Energie aus der Nahrung, um sowohl die Trainingsbelastung als auch die normalen Körperfunktionen abzudecken, spricht man von «Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S)». Die Folgen sind gravierend: Neben einem Leistungsabfall können auch Knochengesundheit, Stoffwechsel und Hormonhaushalt beeinträchtigt werden. Ernährung ist daher nicht nur für den sportlichen Erfolg, sondern auch für die langfristige Gesundheit entscheidend. Deshalb empfehlen wir, dass Athlet:innen eng mit Ernährungsberater:innen zusammenarbeiten – idealerweise in Abstimmung mit der medizinischen Betreuung.
Wie wichtig ist der mentale Faktor im medizinischen Gesamtkonzept – und arbeiten Sie hier auch interdisziplinär mit Psycholog:innen zusammen?
Der mentale Faktor ist ein wesentlicher Bestandteil der Leistungsfähigkeit und gehört ebenso zum medizinischen Gesamtkonzept wie Ernährung oder körperliche Gesundheit. Bei uns im Medical Center Wankdorf stehen Ernährungsberater:innen, ein Sportpsychologe und ein Sportpsychiater zur Verfügung. Wenn wir feststellen, dass Athlet:innen mental nicht optimal vorbereitet sind und dies ihre körperliche Leistung beeinträchtigt, ziehen wir sie oder externe Mentaltrainer:innen hinzu. Auch Trainer:innen tragen hier Verantwortung: Mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit – und beide sind eng miteinander verknüpft.
Mujinga und Ditaji Kambundji, wie stellt ihr sicher, dass euer Training langfristig tragfähig ist – habt ihr bestimmte Routinen oder Kontrollmechanismen?
Mujinga: Langfristig tragfähig ist Training nur, wenn man es nachhaltig und ausgewogen gestaltet. Intensives Training allein reicht nicht – genauso wichtig sind Pausen, Regeneration und ein feines Gespür für den eigenen Körper. Man muss sich immer wieder fragen, wie man sich fühlt, wo man vielleicht überlastet ist und wo man gezielt arbeiten kann. Erholung spielt dabei eine zentrale Rolle: Ausreichend Schlaf, gezielte Regenerationsmassnahmen und eine durchdachte Trainingsplanung sind essenziell. Ebenso wichtig ist die medizinische Betreuung: Je besser man präventiv Verletzungen erkennt und behandelt, desto stabiler bleibt der Körper langfristig. Kurz gesagt: Ein gesundes Jahr im Training ist die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Saison. Wer medizinisch gut abgesichert ist und auf seinen Körper hört, kann langfristig leistungsfähig bleiben und Verletzungen vorbeugen.
Wie wichtig ist für euch medizinische Betreuung im Alltag – z. B. in Form von Check-ups, Behandlungen oder Beratungen?
Mujinga: Medizinische Betreuung ist für uns sehr wichtig, vor allem im Bereich Prävention. Regelmässige Check-ups helfen sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist – von Nährstoffwerten über Blutwerte bis hin zu allgemeinen gesundheitlichen Parametern. Auch gezielte Behandlungen spielen eine grosse Rolle: Muskeln und Gelenke, die im Training stark belastet werden, sollten regelmässig behandelt werden. Bei mir betrifft das zum Beispiel die Füsse – hier helfen etwa Stosswellentherapie oder gezielte physikalische Massnahmen, um Probleme frühzeitig zu vermeiden. Darüber hinaus gibt es viele Dinge, die man selbst im Alltag umsetzen kann: einfache Übungen für zu Hause oder die gezielte Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, z. B. Kollagen. Regelmässige Kontrollen und Vorsorgemassnahmen helfen, kleine Probleme frühzeitig zu erkennen, bevor sie sich verschlimmern, und tragen so entscheidend dazu bei, langfristig leistungsfähig und gesund zu bleiben.
Was bedeutet für euch nachhaltige Leistungsentwicklung – und was würdet ihr jungen Sportler:innen mitgeben, die langfristig erfolgreich sein möchten?
Mujinga: Nachhaltige Leistungsentwicklung bedeutet für mich, sich kontinuierlich zu verbessern, ohne dabei die Gesundheit zu gefährden. Verbesserungen zeigen sich nicht immer in Bestzeiten, sondern auch in einer stabilen Saisonleistung, einer besseren Technik oder einer gesünderen körperlichen Basis. Für junge Sportler:innen ist es wichtig zu verstehen, dass die Leistungskurve nicht immer nach oben geht. Es gibt Jahre, in denen Fortschritte langsamer kommen – auch das ist Teil des Prozesses. Entscheidend ist, dass man verletzungsfrei bleibt, seine Technik und Trainingsqualität stetig verbessert und langfristig eine solide Basis aufbaut. Wer es schafft, sich in verschiedenen Bereichen weiterzuentwickeln und gleichzeitig gesund zu bleiben, legt den Grundstein für eine lange, erfolgreiche Karriere. Langfristiger Erfolg entsteht also nicht über kurzfristige Spitzen, sondern über eine kontinuierliche, gesunde Weiterentwicklung.
Ditaji: Nachhaltige Leistungsentwicklung bedeutet, das Optimum aus dem Training herauszuholen, ohne den Körper zu überlasten. Es geht nicht darum, ständig mehr zu machen, sondern genau das Richtige für die Weiterentwicklung zu tun. Gesundheit ist dabei entscheidend: Solange man verletzungsfrei bleibt, kann man kontinuierlich besser werden. Junge Sportler:innen sollten lernen, auf ihren Körper zu hören, gezielt zu trainieren und Überlastungen zu vermeiden – so legt man den Grundstein für eine lange, erfolgreiche Karriere.
Gab es Momente in eurer Karriere, in denen ihr bewusst Massnahmen gegen Übertraining ergriffen habt? Wie habt ihr das geschafft?
Ditaji: Ich bin bisher glücklicherweise nicht wirklich in eine Situation geraten, in der ich im Übertraining war. Man merkt meistens frühzeitig, was dem Körper guttut und was nicht. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann man mehr Belastung verträgt und wann man eine Pause braucht. Dieses Bewusstsein hat mir bisher geholfen, Übertraining zu vermeiden.
Welche Rolle spielen Ernährung und Regeneration in eurer langfristigen Leistungsfähigkeit? Habt ihr persönliche Grundprinzipien?
Ditaji: Ernährung und Regeneration sind für mich zentrale Säulen langfristiger Leistungsfähigkeit. Ein strikter Ernährungsplan ist für mich nicht nötig, aber ich achte darauf, mich grundsätzlich gesund und ausgewogen zu ernähren und meinem Körper die Nährstoffe zu geben, die er braucht – gleichzeitig darf auch der Genuss nicht zu kurz kommen. Regeneration ist ebenso entscheidend: Nur wer ausreichend schläft, Pausen einhält und auf den Körper hört, kann langfristig auf hohem Niveau performen.
Was bedeutet für euch nachhaltige Leistungsentwicklung – und was würdet ihr jungen Sportler:innen mitgeben, die langfristig erfolgreich sein möchten?
Mujinga: Nachhaltige Leistungsentwicklung bedeutet für mich, sich kontinuierlich zu verbessern, ohne dabei die Gesundheit zu gefährden. Verbesserungen zeigen sich nicht immer in Bestzeiten, sondern auch in einer stabilen Saisonleistung, einer besseren Technik oder einer gesünderen körperlichen Basis. Für junge Sportler:innen ist es wichtig zu verstehen, dass die Leistungskurve nicht immer nach oben geht. Es gibt Jahre, in denen Fortschritte langsamer kommen – auch das ist Teil des Prozesses. Entscheidend ist, dass man verletzungsfrei bleibt, seine Technik und Trainingsqualität stetig verbessert und langfristig eine solide Basis aufbaut. Wer es schafft, sich in verschiedenen Bereichen weiterzuentwickeln und gleichzeitig gesund zu bleiben, legt den Grundstein für eine lange, erfolgreiche Karriere. Langfristiger Erfolg entsteht also nicht über kurzfristige Spitzen, sondern über eine kontinuierliche, gesunde Weiterentwicklung.
Ditaji: Nachhaltige Leistungsentwicklung bedeutet, das Optimum aus dem Training herauszuholen, ohne den Körper zu überlasten. Es geht nicht darum, ständig mehr zu machen, sondern genau das Richtige für die Weiterentwicklung zu tun. Gesundheit ist dabei entscheidend: Solange man verletzungsfrei bleibt, kann man kontinuierlich besser werden. Junge Sportler:innen sollten lernen, auf ihren Körper zu hören, gezielt zu trainieren und Überlastungen zu vermeiden – so legt man den Grundstein für eine lange, erfolgreiche Karriere.
Gab es Momente in eurer Karriere, in denen ihr bewusst Massnahmen gegen Übertraining ergriffen habt? Wie habt ihr das geschafft?
Ditaji: Ich bin bisher glücklicherweise nicht wirklich in eine Situation geraten, in der ich im Übertraining war. Man merkt meistens frühzeitig, was dem Körper guttut und was nicht. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann man mehr Belastung verträgt und wann man eine Pause braucht. Dieses Bewusstsein hat mir bisher geholfen, Übertraining zu vermeiden.
Welche Rolle spielen Ernährung und Regeneration in eurer langfristigen Leistungsfähigkeit? Habt ihr persönliche Grundprinzipien?
Ditaji: Ernährung und Regeneration sind für mich zentrale Säulen langfristiger Leistungsfähigkeit. Ein strikter Ernährungsplan ist für mich nicht nötig, aber ich achte darauf, mich grundsätzlich gesund und ausgewogen zu ernähren und meinem Körper die Nährstoffe zu geben, die er braucht – gleichzeitig darf auch der Genuss nicht zu kurz kommen. Regeneration ist ebenso entscheidend: Nur wer ausreichend schläft, Pausen einhält und auf den Körper hört, kann langfristig auf hohem Niveau performen.