Training allein macht noch keinen Erfolg. Erst in der Regeneration finden die entscheidenden physiologischen Anpassungsprozesse statt: Muskeln reparieren sich, Energiespeicher füllen sich, Hormone und Nervensystem kommen ins Gleichgewicht. Wer Pausen vernachlässigt, riskiert Leistungsabfall, Verletzungen oder Übertraining. Im Interview erklären MSK-Physiotherapeutin Panka Nagy und Hürdensprinterin Ditaji Kambundji, warum Schlaf, Ernährung und aktive Erholung für sportliche Höchstleistungen unverzichtbar sind.
Frau Nagy, warum ist gezielte Regeneration physiologisch so entscheidend – und was passiert im Körper, wenn sie vernachlässigt wird?
Regeneration ist ein zentraler Bestandteil des Trainingsprozesses. Während des Trainings setzen wir einen Reiz, doch die eigentliche Leistungssteigerung erfolgt erst danach – in der Erholungsphase. In dieser Zeit laufen entscheidende Adaptationsprozesse ab: Muskelfasern, die im Training belastet oder geschädigt wurden, werden repariert und stärker aufgebaut. Die Eiweissstrukturen erneuern sich, Energiespeicher werden aufgefüllt, und die hormonelle Balance normalisiert sich. Auch das zentrale und periphere Nervensystem erholen sich, wodurch Koordination, Reaktionsfähigkeit und Konzentration verbessert werden. Ebenso stabilisiert sich das Immunsystem. Wird die Erholung vernachlässigt, bleibt der Körper im Dauerstress. Die Trainingsreize können nicht optimal verarbeitet werden, Erschöpfung und Verletzungsrisiko steigen, und langfristig kann es sogar zu Übertraining kommen – mit deutlichen Einbussen bei Leistung, Gesundheit und Motivation. Training und Regeneration gehören daher untrennbar zusammen und müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Welche regenerativen Methoden haben sich in der sportmedizinischen Praxis besonders bewährt – z. B. Kryotherapie oder manuelle Therapie?
Ich nutze gerne das Bild eines Eisbergs: Rund 90 Prozent liegen unsichtbar unter der Wasseroberfläche – und genau diese Basis bilden Schlaf und eine ausgewogene Ernährung. Ohne diese beiden Faktoren ist nachhaltiger sportlicher Erfolg kaum möglich. Alle weiteren Methoden sind sozusagen die sichtbare Spitze des Eisbergs. Diese 10 Prozent sind stark individuell und sportartspezifisch. Manche Sportler:innen setzen auf aktive Regeneration, etwa ein lockeres Auslaufen, Radfahren auf dem Ergometer oder gezieltes Dehnen – immer deutlich unterhalb der Belastungsgrenze. Andere bevorzugen passive Massnahmen wie Kryotherapie, manuelle Therapie, Massage, Kaltwasser- oder Kontrastwasserbäder. Entscheidend ist, die Methoden auf die jeweiligen Bedürfnisse, den Trainingsumfang und die Sportart abzustimmen.
Wie wichtig ist Schlaf in der sportmedizinischen Betreuung – und worauf sollte man besonders achten?
Schlaf gehört zu den 90 Prozent des Eisbergs, er ist ein Baustein der sportlichen Leistungsfähigkeit. Während des Schlafs laufen entscheidende Regenerationsprozesse ab: Muskeln reparieren sich, Energiespeicher werden aufgefüllt, Hormone reguliert und das Nervensystem entlastet. Ohne ausreichend und qualitativ guten Schlaf kann man sein Leistungsniveau weder halten noch steigern. Wichtig sind vor allem die Dauer und Qualität des Schlafes. Weniger als sechs Stunden sind zu wenig, neun bis zehn Stunden dagegen oft schon wieder kontraproduktiv. Entscheidend ist, ob ausreichend Tiefschlafphasen erreicht werden – idealerweise 90 bis 120 Minuten pro Nacht. Dort passiert der grösste Teil der physiologischen Regeneration. Moderne Tools wie Smartwatches können dabei helfen, den Schlaf zu analysieren.
Und wie können Sportler:innen ihre Schlafqualität beeinflussen?
Auf die Schlafqualität haben viele Faktoren Einfluss. Dazu gehört zum Beispiel Koffein, das man sechs bis acht Stunden vor dem Schlafengehen meiden sollte. Auch Alkohol wirkt störend, weil er die Erholung mindert. Eine ruhige Abendroutine ohne Bildschirmzeit ist ebenfalls wichtig, daher empfiehlt es sich, das Handy rechtzeitig beiseitezulegen. Und auch beim Essen gilt: Grössere Mahlzeiten sollten zwei bis drei Stunden vor dem Zubettgehen beendet sein, damit der Körper nicht mit Verdauung beschäftigt ist, sondern sich auf die Regeneration konzentrieren kann. Alles, was den Körper entspannt und auf die Nachtruhe vorbereitet, fördert erholsamen Schlaf – und damit auch die sportliche Leistungsfähigkeit.
Was würden Sie ambitionierten Hobbysportler:innen empfehlen, die oft zu wenig Pausen einplanen?
Dass sie zu wenig Erholung hatten, merken viele erst, wenn sie bereits im Übertraining sind. Deshalb rate ich, frühzeitig bewusst Pausen einzuplanen und zu überlegen, wie die Regeneration verbessert werden kann. Das muss nicht immer eine Trainingsreduktion sein – gerade für viele Hobbysportler:innen ist Bewegung ein wichtiger Ausgleich zum Alltagsstress. In solchen Fällen kann es sinnvoller sein, die Intensität anzupassen, statt ganz auf Training zu verzichten. Wichtig ist vor allem, auf den eigenen Körper zu hören und ihm zu vertrauen. Denn langfristig lässt sich die Leistungsfähigkeit nur erhalten, wenn Erholung genauso selbstverständlich dazugehört wie das Training selbst.
Wie kann man erkennen, ob der Körper gerade eine Pause braucht – gibt es medizinische oder körperliche Warnsignale, auf die man unbedingt achten sollte?
Ja, es gibt diese Warnsignale. Dazu gehören ein unerklärlicher Leistungsabfall, Energielosigkeit, chronische Müdigkeit, ungewohnte Muskelsteifigkeit oder Muskelschmerzen. Auch übermässiges Schwitzen, Stimmungs- und Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit können Hinweise sein. Wenn Sportler:innen merken, dass sich etwas über längere Zeit anders anfühlt als gewohnt, sollten sie die Ursachen hinterfragen. Auch Umweltfaktoren wie Stress im Beruf oder im Privatleben sollten berücksichtigt werden. Nicht immer ist das Training der alleinige Auslöser – oft zeigt sich die Belastung aber zuerst im Training.
Ditaji Kambundji, wie sieht ein typischer Regenerationstag bei dir aus – hast du feste Routinen oder Rituale?
Ein Regenerationstag beginnt für mich immer mit ausreichend Schlaf – das ist für mich das Wichtigste. Danach hängt vieles von der Situation ab und was als nächstes ansteht: Brauche ich eine Massage, Physiotherapie oder Osteopathie? Entscheidend ist, dass ich am nächsten Tag wieder fit und einsatzbereit für das Training bin. Ein Regenerationstag ist für mich aber nicht nur körperlich, sondern auch mental: Ich versuche, bewusst vom Sport loszulassen, mich zu entspannen und einfach einmal innezuhalten.
Welche Rolle spielt für dich die Physiotherapie – und wie oft nimmst du sie in Anspruch?
Physiotherapie ist für mich sehr wichtig. Ich arbeite eng mit meinem Physiotherapeuten zusammen und gehe mindestens einmal pro Woche hin – bei Problemen oder während der Saison sogar zweimal wöchentlich.
Was hilft dir am meisten, um nach intensiven Trainings- oder Wettkampftagen mental und körperlich zu entspannen?
Schlaf ist für mich die wichtigste Regenerationsmassnahme. Körperlich helfen mir Massagen, besonders nach harten Einheiten oder Wettkämpfen. Mental entspanne ich mich gerne mit Büchern oder kleinen Ablenkungen, um den Kopf freizubekommen.
Gibt es ein bestimmtes Regenerations-Tool oder eine Methode, auf die du persönlich schwörst?
Ja, die Compression Boots nutze ich regelmässig. Sie funktionieren ähnlich wie ein aufblasbares Massagegerät für die Beine. Nach einem intensiven Training oder Wettkampf setze ich mich bis zu 45 Minuten hinein. Das hilft enorm, die Beine zu entspannen und die Regeneration zu beschleunigen.
Was würdest du jungen Athlet:innen oder aktiven Menschen raten, die Regeneration unterschätzen?
Regeneration ist extrem wichtig – vor allem Schlaf. Wer müde ins Training geht, erhöht das Verletzungsrisiko und kann nicht optimal trainieren. Mein Tipp: Genug schlafen, auf den eigenen Körper hören und bewusst Pausen einlegen. Erholung ist genauso entscheidend wie das Training selbst.