Leistungsdiagnostik ist mehr als ein Profi-Thema: Sie unterstützt Kinder, Jugendliche und Erwachsene dabei, sicher und effektiv zu trainieren. Sportmedizinerin Dr. Friederike Wippermann und Sportwissenschaftler Pirmin Bühler erklären im Interview, wer von Tests wie Laktatstufentest oder VO₂max-Messung profitiert, wie die Diagnostik abläuft und warum sie Trainingsfehler sichtbar macht. Sie geben Tipps, wie Sie Überlastungen vermeiden und Ihre Leistung gezielt steigern können.
Frau Wippermann, Sie sind Kinderärztin und Sportmedizinerin. Wer kommt zu Ihnen und wozu?
In meiner Praxis sehe ich ein sehr breites Spektrum an Patient:innen. Als Kinderärztin mit Schwerpunkt Sportmedizin behandle ich viele Kinder und Jugendliche, die sportlich aktiv sind – sei es im Freizeit- oder im Leistungssport. Sie kommen mit Verletzungen, zum Beispiel einem verstauchten Sprunggelenk, oder auch mit Herzrhythmusstörungen oder Atemnot beim Sport – Stichwort Belastungsasthma. Hinzu kommen Fragen zu Wachstumsverzögerungen bei Leistungssportler:innen. Aber auch Erwachsene kommen in die Sprechstunde – sowohl Leistungs- wie auch Hobbysportler:innen. Viele kommen, weil sie bemerken, dass ihre Leistung stagniert oder sich verschlechtert. Andere bereiten sich auf einen Wettkampf wie einen Marathon vor und möchten vorab gesundheitliche Risiken ausschliessen. Die Leistungsdiagnostik kann helfen, die Trainingsbereiche zu definieren und Überlastungen zu erkennen und somit zu vermeiden.
Wie läuft so eine Leistungsdiagnostik bei Ihnen ab – von der Vorbereitung bis zur Interpretation der Ergebnisse?
Im Vorwege der Belastungsuntersuchung werden Körpergrösse und -gewicht bestimmt, Blutdruckwerte und Sauerstoffsättigung gemessen und ein Ruhe-EKG durchgeführt. Wenn alles unauffällig ist, folgt die eigentliche Leistungsdiagnostik, je nach Sportart auf dem Laufband oder dem Fahrradergometer. Dabei messen wir Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und – bei der Spiroergometrie – auch die Atemgase. Ergänzend kann ein Laktattest durchgeführt werden. Die Ergebnisse werden anschliessend ausgewertet. Durch Interpretation der erhobenen Werte können medizinische Risiken wie z.B. Herzrhythmusstörungen oder Bluthochdruck unter Belastung erkannt oder ausgeschlossen werden. Wir formulieren Trainingsempfehlungen, für eine detaillierte Trainingsplanung kommen ausserdem die Sportwissenschaftler dazu.
Für wen lohnt sich ein Laktattest oder eine VO₂max-Messung – und ab wann ist das sinnvoll?
Beide Untersuchungen sind für ambitionierte Hobbysportler:innen und Leistungssportler:innen interessant. Aus einem Laktattest können wir ableiten, wie effektiv jemand trainiert, wie die Grundlagenausdauer ausgeprägt ist und wo noch Verbesserungspotenzial besteht. Die VO₂max-Messung erlaubt uns, eine Aussage über die Ausdauerleistungsfähigkeit zu treffen. Wer also regelmässig trainiert und seine Leistung gezielt verbessern möchte, profitiert enorm von einer solchen Untersuchung. Eine besondere Situation besteht dann, wenn unter Belastung Beschwerden auftreten – in diesem Fall steht zunächst die medizinische Abklärung im Vordergrund.
Viele Hobbysportler:innen trainieren nach Gefühl – woran können sie erkennen, dass sie sich vielleicht dauerhaft überlasten?
Häufig fällt es den Sportler:innen erstmal nicht auf. Sie kommen eher mit Symptomen wie chronischer Müdigkeit, Leistungsabfall oder gehäuft auftretenden Infekten. Diese Beschwerden können auf ein Übertraining oder zu kurze Erholungszeiten hindeuten. Oft trainieren die Sportler:innen zu intensiv, laufen z.B. zu schnell und somit oberhalb des Grundlagenausdauerbereichs. Die unzureichend ausgebildete Grundlagenausdauer kann man in der Laktatkurve erkennen. Wir können solche «Muster» oder Fehlbelastungen sichtbar machen und gezielt Empfehlungen zur Umstellung des Trainings geben. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr, regelmässige Erholungsphasen sind wichtig.
Möchten Sie den Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?
Mir ist wichtig zu betonen, dass Leistungsdiagnostik nicht nur etwas für Profis ist. Speziell für Kinder und Jugendliche gibt es bisher wenige Angebote für eine sportmedizinische Betreuung. Dabei ist eine solche Begleitung in jungem Alter besonders wertvoll – sei es zur Prävention von Überlastungserscheinungen und Verletzungen oder zur Beobachtung des Wachstums. Bei Bedarf können die Ernährungsberatung oder Physiotherapie eingebunden werden. Im Medical Center Wankdorf können wir das interdisziplinär leisten, und das ist ein grosser Vorteil.
Herr Bühler, Sie sind Sportwissenschaftler. Wer kommt zu Ihnen zur Leistungsdiagnostik und wozu?
Zu uns kommen sowohl Einsteiger:innen im Sport als auch ambitionierte Amateur:innen und Spitzensportler:innen. Allen gemeinsam ist, dass sie ein Ziel verfolgen – sei es, von Anfang an strukturiert und gesund ins Training einzusteigen oder die eigene Leistung zu verbessern. Meistens handelt es sich um gesunde Sportler:innen, die ihre Leistungsfähigkeit optimieren wollen. Bei verletzten oder erkrankten Personen ziehen wir Physiotherapeut:innen und/oder Sportärzt:innen hinzu, mit welchen wir in unserem Zentrum sehr eng zusammenarbeiten.
Wie nutzen Sie die Daten aus der Leistungsdiagnostik, um Trainingspläne individuell anzupassen oder zu optimieren?
Zunächst wird das Ziel der Sportler:innen geklärt und die passenden Tests ausgewählt. Bei Ausdauertests wie Laktatstufentest oder Spiroergometrie werden Leistungsdaten wie Herzfrequenz, Laktatwerte, Atemgase und das subjektive Belastungsempfinden erhoben. Diese Werte zeigen, in welchen Stoffwechselbereichen sich die Sportler:innen bewegen. Daraus lassen sich Trainingszonen mit Pulsbereichen ableiten, die eine gezielte Steuerung des Trainings ermöglichen. So entsteht ein individueller Trainingsplan, der bei Bedarf auch laufend angepasst wird. Im Amateurbereich übernehmen wir oft die Rolle des Coaches, während wir im Profibereich eng mit den Vereinstrainer:innen zusammenarbeiten.
Warum ist es wichtig, muskuläre Dysbalancen oder Bewegungseinschränkungen frühzeitig zu erkennen – und was folgt dann daraus im Training?
Ein Ungleichgewicht im Muskel- oder Bewegungsapparat erhöht nachweislich die Verletzungsgefahr und kann die Leistungsfähigkeit einschränken. Mit funktionellen Tests wie dem FMS (Functional Movement Screen) lassen sich Einschränkungen, Asymmetrien und Defizite bei Beweglichkeit, Stabilität oder Bewegungsqualität aufdecken. Anschliessend wird das Training gezielt angepasst – z. B. durch spezifische Übungen zur Stabilisation oder Mobilisation. Vor allem bei Jugendlichen in Sportschulen ist diese Früherkennung entscheidend, um langfristige Fehlentwicklungen zu vermeiden.
Wie sieht der Weg von der Diagnostik bis zum konkreten Trainingsalltag aus – und wie unterstützen Sie Sportler:innen dabei?
Aus der Leistungsdiagnostik entstehen konkrete Empfehlungen für das Training. Sportler:innen können wählen, ob sie nur den Test mit Beratung buchen oder eine weitergehende Betreuung wünschen. Dies reicht von Trainingsplänen über regelmässige persönliche Beratungen bis hin zu Personaltraining-Einheiten. Wir arbeiten interdisziplinär mit Sportärzt:innen, Physiotherapeut:innen und Coaches zusammen. Dadurch können wir Athlet:innen je nach Bedarf individuell und umfassend begleiten.
Gibt es typische Trainingsfehler, die Sie immer wieder beobachten? Wie lassen sie sich vermeiden?
Eine häufige Feststellung – vor allem bei Hobbysportler:innen – ist, dass die Grundlage im Ausdauerbereich fehlt. Viele trainieren zu intensiv und vernachlässigen lockere Einheiten, die für die Basis entscheidend sind. Ein weiterer Fehler ist die mangelnde Erholung: Viele vergessen, dass Trainingsanpassungen in den Ruhephasen stattfinden. Um diese Fehler zu vermeiden, hilft die Leistungsdiagnostik: Sie zeigt die individuellen Trainingsbereiche auf und ermöglicht es Sportler:innen, gezielt im Grundlagenbereich zu trainieren. Gleichzeitig lernen sie, Belastung und Erholung besser in Einklang zu bringen.
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Sportwissenschaftler und Standortleiter von St. Anna im Bahnhof, Luzern
 
                        
                        
                    