Patientenzeitschrift "Mittelpunkt"

Immuntherapien mobilisieren das körpereigene Abwehrsystem gegen Tumorzellen. Diese neue Form der Krebsbehandlung ist in den letzten Jahren zu einer tragenden Säule der Onkologie geworden.

Die Hauptaufgabe des Immunsystems besteht in der Abwehr von Krankheitserregern wie Viren oder Bakterien. Bereits vor über 100 Jahren haben Wissenschaftler jedoch die Vermutung aufgestellt, dass dem Immunsystem noch eine weitere Fähigkeit zukomme, nämlich die Fähigkeit, Krebszellen aufzuspüren und zu beseitigen. In den 1950er-Jahren wurde diese Vermutung wieder aufgegriffen und in den Folgejahrzehnten weiter präzisiert. Beweisen konnte man sie allerdings lange nicht. Erst seit rund 30 Jahren lässt sich dank neu entwickelter Verfahren zeigen, dass das Immunsystem tatsächlich bösartig veränderte Zellen erkennen und abtöten kann.

Ziel der Immuntherapie

Heute geht man davon aus, dass das Immunsystem immer wieder entartete Zellen beseitigt und damit die Entstehung von Tumoren verhindert. Hauptverantwortlich für diese Abwehr sind spezielle Immunzellen, die sogenannten Killer- oder T-Zellen. Inzwischen weiss man aber auch, dass sich Krebszellen aufgrund von Mutationen so verändern können, dass sie von den T-Zellen nicht mehr angegriffen werden. Genau hier setzen die neuen Immuntherapien an: Sie zielen mit verschiedenen Methoden darauf ab, die Verteidigungsstrategien von Krebszellen zu durchbrechen.

Bremsen des Immunsystems

Der bisher erfolgreichste Ansatz richtet sich gegen ein besonders raffiniertes Manöver der Krebszellen. Es besteht darin, dass sie die Bremsen des Immunsystems aktivieren, worauf der Angriff der T-Zellen gegen sie zu einem Stillstand kommt. Der Tumor kann ungehindert wachsen.

Konkret handelt es sich bei diesen Bremsen um Eiweissmoleküle auf der Oberfläche der T-Zellen. Sie heissen «immunregulatorische Checkpoints» und haben normalerweise eine wichtige Funktion: Nach der Eliminierung eines Virus stoppen sie die Immunreaktion, damit gesunde körpereigene Zellen von einem Angriff verschont bleiben. Um den Bremsvorgang auszulösen, produziert der Körper bestimmte Signalmoleküle, die passgenau an die Checkpoints andocken und sie so «aktivieren». Dadurch wird in den T-Zellen ein Prozess in Gang gesetzt, der zu ihrer Hemmung führt. Sie werden passiv und greifen nicht mehr an. – Leider sind jedoch auch Tumorzellen in der Lage, genau dieselben Signalmoleküle zu produzieren und auszusenden. Auf diese Weise können sie die T-Zellen entschärfen (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1
Krebszellen senden Signalmoleküle aus, welche die Bremsen bzw. Checkpoints auf den T-Zellen aktivieren. Die T-Zellen greifen die Krebszellen nicht mehr an.
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Abb. 2
Checkpoint-Hemmer blockieren die Bremsen bzw. Checkpoints auf den T-Zellen, sodass die Signalmoleküle sie nicht aktivieren können. Die T-Zellen greifen die Krebszellen wieder an.

Checkpoint-Hemmer

An dieser Stelle kommt nun eine vielversprechende Form der Immuntherapie ins Spiel. Sie beruht auf künstlich hergestellten Antikörpern, mit denen sich dieser «Trick» der Krebszellen unterlaufen lässt: Die Antikörper blockieren die Checkpoints, sodass die Signalmoleküle nicht mehr an sie andocken können. Die Folge: Die T-Zellen verbleiben im Angriffsmodus und setzen die Bekämpfung der Tumorzellen fort. Weil solche Antikörper verhindern, dass die Bremsen bzw. Checkpoints durch die Signalmoleküle aktiviert werden, heissen sie «Checkpoint-Hemmer» (vgl. Abb. 2).

Der erste Checkpoint-Hemmer, der immuntherapeutisch eingesetzt wurde, heisst Ipilimumab. Er blockiert einen Checkpoint mit der Bezeichnung CTLA-4 und ist zur Behandlung von fortgeschrittenem schwarzem Hautkrebs (Melanom) zugelassen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Ipilimumab das Überleben von Patienten mit Melanomen, die bereits Ableger gebildet haben, statistisch signifikant verbessert.

Nebenwirkungen

Ein Problem sind allerdings die Nebenwirkungen. Werden bei einem Immunsystem die Bremsen gelöst, kann es sich auch gegen den eigenen Körper richten. Das heisst, es kann zu einer Autoimmunreaktion kommen. So führt die Behandlung mit Ipilimumab oft zu schweren entzündlichen Darmerkrankungen. Grosse Hoffnungen ruhen deshalb auf einem zweiten Checkpoint-Hemmer, der zu weniger starken Nebenwirkungen führt. Er heisst Nivolumab und blockiert einen Checkpoint namens PD-1. Der Wirkstoff erhielt in der EU, den USA und der Schweiz 2015 die Zulassung und wird zur Therapie verschiedener Krebserkrankungen wie Lungenkrebs, Melanom und Nierenkrebs eingesetzt. In klinischen Studien wird seine Wirksamkeit auch noch bei weiteren Krebsarten getestet.

Langfristige Kontrolle des Tumors

Nicht alle Patienten sprechen auf eine Immuntherapie mit Checkpoint-Hemmern an. Nach bisheriger Erfahrung sind es aber doch 20 bis 30 Prozent. Oft handelt es sich dabei um Patienten, denen mit konventionellen Therapien nicht mehr geholfen werden kann. Bei ihnen gelingt dank der Immuntherapie eine langfristige Tumorkontrolle. Das heisst, der Tumor wird zwar nicht immer restlos beseitigt, aber vom Immunsystem erfolgreich in Schach gehalten. Darin unterscheidet sich die Immuntherapie denn auch von der Chemotherapie und der Strahlentherapie. Diese klassischen Therapien haben zum Ziel, den Tumor zu eliminieren. Gelingt es ihnen nicht, schreitet die Krankheit voran. Die Immuntherapie scheint dagegen auch ein Leben mit dem Tumor zu ermöglichen.

Ausblick

Die Entwicklung von Immuntherapien, die Checkpoint-Hemmer einsetzen, steht erst am Anfang. In der Forschung wird bereits intensiv an der Herstellung weiterer Checkpoint-Hemmer gearbeitet. Gleichzeitig gewinnt die Medizin Wissen darüber, bei welchen Tumoren die Immuntherapie wirksam ist. Besonders viel verspricht man sich ausserdem von einer Kombination der Immuntherapie mit der Chemo- und/oder der Strahlentherapie: Diese bewährten Therapien eliminieren möglichst viele Tumorzellen; die verbleibenden werden vom Immunsystem dank der Checkpoint-Hemmer unter Kontrolle gehalten.

Ärzte 1

Facharzt für: Medizinische Onkologie , Allgemeine Innere Medizin , Allergologie und klinische Immunologie