Patientenzeitschrift "Mittelpunkt"

Bei einem Schlaganfall ist jede Minute kostbar. Je rascher die Behandlung eingeleitet wird, desto weniger Hirngewebe geht verloren. Das den Hirnschlag verursachende Blutgerinnsel sollte innert der ersten sechst Stunden nach Symptombeginn aufgelöst werden. Dadurch wird weniger Hirngewebe zerstört, und die neurologischen Ausfälle wie Sprachstörungen oder Lähmungen sind besser oder sogar vollständig reversibel.

Unter einem Schlaganfall/Hirnschlag versteht man ein plötzlich auftretendes neurologisches Defizit wie beispielsweise Sprachstörungen oder Lähmungen (siehe Kasten unten). Halten die Symptome mindestens 24 Stunden an, spricht man von einem Hirnschlag, vergehen sie innerhalb von weniger als 24 Stunden, wird von einer Streifung gesprochen. In beiden Fällen sind die Symptome identisch und es sollte eine unverzügliche Abklärung in einer spezialisierten Schlaganfalleinheit (Stroke Center oder Unit) erfolgen.

Ein Schlaganfall ist in den westlichen Industrienationen – und so auch in der Schweiz – die häufigste Ursache einer Invalidität, die zweithäufigste Ursache eines intellektuellen Abbaus und die dritthäufigste Todesursache. Die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu, erreicht ihren Höhepunkt bei 80- bis 85-Jährigen und ist wegen der zunehmenden Überalterung grösser als die von Herzinfarkten. Auslöser ist in etwa 5 ⁄ 6 der Fälle eine Durchblutungsstörung (ischämischer Schlaganfall), in den übrigen Fällen eine Gehirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall).

Unverzüglich die Rettung und das Stroke Center alarmieren

Wenn aufgrund der Symptome ein Hirnschlag vermutet wird, sollten notfallmässig die Rettung (Tel. 144) alarmiert und bis zu deren Eintreffen durch die Angehörigen die ­Vitalfunktionen (ABC: Atemwege frei machen, Breathing/Atmung, Circulation/Puls) untersucht und falls notwendig lebensrettende Massnahmen angewendet werden. Da oft Schluckstörungen bestehen, dürfen keine Getränke oder Nahrungsmittel verabreicht werden. Zudem soll kein blutverdünnendes Medikament wie Aspirin eingenommen werden.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die organisierte Behandlung durch ein spezialisiertes Team in einem Schlaganfallzentrum sowohl das neurologische Defizit als auch die Sterblichkeit der Hirnschlagpatienten stark reduziert, sodass in den letzten 20 Jahren weltweit Stroke Centers und Units errichtet wurden. In der Schweiz gibt es neun Stroke Centers und etwa doppelt so viele Stroke Units, die nach einem standardisierten Vorgehen arbeiten. Ein Patient mit Hirnschlag oder Streifung sollte daher umgehend in eines dieser Zentren eingeliefert werden.

Abklärung und Behandlung

Die Akutmassnahmen in der Schlaganfalleinheit umfassen Blutentnahme, Ableiten eines Elektrokardiogramms (EKG), Anlegen von Infusionen, eines EKG- und Sauerstoff-Monitors, Anamneseerhebung, klinische Untersuchung sowie Untersuchung von Gehirn und Hirnarterien mittels Kernspintomographie. Erst die Bildgebung des Gehirns wird zeigen, ob der Patient einen ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfall erlitten hat.

Die Ursache des ischämischen Schlaganfalls ist die Verstopfung einer Arterie, die ein bestimmtes Hirnareal versorgt, durch ein Blutgerinnsel. Dadurch wird das betroffene Hirnareal nach etwa 15 Sekunden in zwei Zonen mit unterschiedlicher Prognose (Abb. 1) unterteilt: Im Zentrum liegt die am schlechtesten durchblutete Kernzone, die irreversibel geschädigtes Nervengewebe enthält. Darum herum befindet sich die etwas besser durchblutete Penumbra, die den zentral geschädigten Hirnbereich umgibt und die überlebensfähige Zellen enthält. Sie ist wie die Kernzone funktionell inaktiv, jedoch nur reversibel geschädigt. Die Ausdehnung der Kernzone vergrössert sich mit der Zeit und ersetzt nach einigen Stunden die gesamte Penumbra. Entsprechend ist es das Ziel der Akutbehandlung, möglichst schnell das ursächliche Blutgerinnsel aufzulösen, um die Umwandlung der Penumbra in die Kernzone zu verhindern, damit das neurologische Defizit des Betroffenen möglichst gering bleibt.

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Abb. 1
Das eine Hirnarterie verschliessende Blut­gerinnsel verursacht innert etwa 15 Minuten eine schlecht durchblutete Kernzone, die aus irreversibel geschädigtem Hirngewebe ­besteht (rot). Ohne akute Schlaganfalltherapie dehnt sich die Kernzone sukzessive aus ­(Farbverlauf) und ersetzt die Penumbra, die schlecht durchblutetes, jedoch nur reversibel geschädigtes Hirngewebe (hellblau) enthält.

Innerhalb von sechs Stunden

Der Faktor Zeit spielt also eine entscheidende Rolle. ­Daher ist bei jedem Hirnschlagpatienten die wichtigste Frage, ob eine intravenöse Thrombolyse durchgeführt werden kann, die das ursächliche Blutgerinnsel auflöst. Bei einer intravenösen Thrombolyse wird ein das Blutgerinnsel auflösendes Medikament über eine Vene verabreicht. Diese Form der Thrombolyse ist nur innert 4,5 Stunden nach Symptombeginn hilfreich. Bei etwa 20% der Schlaganfallpatienten, die einen Hirnarterienverschluss wegen eines mindestens 8 mm langen Blutgerinnsels haben, führt die intravenöse Thrombolyse nur in 10–30% zu einer zufriedenstellenden Entfernung des Gerinnsels. Die endovaskuläre Thrombolyse öffnet diese Verschlüsse viel öfter und schneller. Dabei wird ein Katheter über die Leistenarterie bis in die betroffene Hirnarterie vorgeschoben und das Gerinnsel vor Ort entfernt.

Bei sehr schweren, raumfordernden Schlaganfällen können Patienten unter 60 Jahren von einer Druckentlastung durch die Entfernung des Schädeldachs und die Spaltung der harten Hirnhaut profitieren.

Therapie vom ersten Tag an

Nach der Thrombolyse werden die Patienten auf der Überwachungsstation und anschliessend auf der Bettenstation des Stroke Center behandelt. Die Physio-, Ergo- und Logotherapie beginnt bereits auf der Überwachungsstation. Die meisten Schlaganfallpatienten werden nach durchschnittlich sieben bis zehn Behandlungstagen entweder nach Hause (mit ambulanter Physio-, Ergo- und Logotherapie) oder in eine stationäre Neurorehabilitation entlassen, die meist vier bis sechs Wochen dauert.

Symptome eines Schlaganfalls oder einer Streifung

  • Sehstörungen: einseitige Blindheit, Gesichtsfeld­ausfall, Doppelbilder
  • Sprachstörung: Wortfindung, Schreiben, Sprach­verständnis und Lesen gestört
  • Sprechstörung: Sprechen undeutlich, verwaschen
  • Schwindel, Gleichgewichtsstörung
  • Lähmung und/oder Fühlstörung einer Körperhälfte

 

Klinische Forschung am Stroke Center Hirslanden

Das Stroke Center Hirslanden partizipiert im Jahr 2014 an mehreren Studien, die vom Schweizerischen Nationalfonds, der Europäische Union und der Industrie ­unterstützt werden. Diese Studien haben zum Ziel, die aktuelle Hirnschlagbehandlung weiter zu verbessern und neue Behandlungsmethoden zu erforschen. Dabei werden die Forscher des Stroke Center durch die ­Clinical Trial Unit der Klinik Hirslanden unterstützt.

So nehmen beispielsweise die Schweizer Hirnschlagzentren Aarau, Basel und St. Gallen unter Leitung des Stroke Center Hirslanden an der «THERAPY-Studie» teil. Im Rahmen dieser Studie gilt es herauszufinden, ob Patienten mit einem mindestens 8 mm langen Gerinnsel in der Hirnbasisarterie auch klinisch in Bezug auf die neurologischen Ausfälle von der teureren, ­endovaskulären Therapie profitieren. Deshalb werden weltweit Schlaganfallpatienten mit Verschluss einer grossen Hirnarterie in eine von mehreren kontrolliert-randomisierten Studien eingeschlossen. Die Ebnisse werden in etwa zwei Jahren vorliegen.