Patientenzeitschrift "Mittelpunkt"

Anhand eines realen Beispiels zweier Raucher mit demselben Jahrgang und demselben Zigarettenkonsum wird aufgezeigt, wie die Behandlung, die Überlebenschancen und die Therapiekosten divergieren können. Dies verdeutlicht, dass ein präventives Screening sinnvoll wäre, was auch durch neuere wissenschaftliche Studien gestützt wird.

Lungenkrebs ist trotz verbesserter Therapien und dem Einsatz immer teurerer Medikamente eine sehr gefährliche Krankheit geblieben. Bei Männern ist sie nach wie vor die Krebstodesursache Nummer eins, bei den Frauen ist sie weiter auf dem Vormarsch. Hauptursache ist das ­Rauchen – es ist im wahrsten Sinne des Wortes tödlich. Von den jährlich 3500 diagnostizierten Erkrankten in der Schweiz werden 85% innerhalb der nächsten fünf Jahre sterben. Dies ist eine traurige Realität, und trotz massivem Mitteleinsatz in der Behandlung – die Rede ist von einer Verzehnfachung der Therapiekosten – ist diese 5-Jahres-Überlebensprognose in den letzten 30 Jahren unverändert geblieben.

Die Krankheit könnte weit besser verlaufen und viele ­Patienten könnten geheilt werden, was das Leid um den vorzeitigen Verlust eines lieben Menschen bei den Angehörigen vermeiden würde. An wissenschaftlicher Evidenz mangelt es diesbezüglich nicht: Grosse Untersuchungen der letzten Jahre, die insbesondere im Rahmen von Studien mit Screeningprogrammen in Risikogruppen durchgeführt wurden, belegen, dass die Sterblichkeit durch Lungenkrebs dank Früherkennung massiv gesenkt werden könnte.

Präventives Screening bei Brust- und Darm-, nicht aber bei Lungenkrebs Bedauerlicherweise und trotz der Studien sind Prävention und Frühdiagnose beim Lungenkrebs nicht genügend im Fokus. Obwohl im Gegensatz zum Brust- oder Darmkrebs hier eine ganz klare Risikogruppe besteht, wird dieses Screeningprogramm, wie es für die beiden anderen Gruppen existiert, weder als Förderprogramm finanziell unterstützt noch von den Krankenkassen bezahlt. Hinzu kommt, dass sich viele Raucher der Risiken zwar bewusst sind, die Augen davor aber verschliessen und sich nicht freiwillig untersuchen lassen wollen. Eine Untersuchung erfolgt meistens erst dann, wenn der Krebs weit fortgeschritten ist, da er sich vorab nicht mit Warnsymptomen manifestiert, es sei denn, er werde als Zufallsbefund diagnostiziert.

Vergleichbare Raucher, unterschiedlicher Ausgang

Die nachfolgende Gegenüberstellung von Raucher A und B zeigt eindrücklich, wie sich eine Frühdiagnose im Gegensatz zu ­einer verzögerten Diagnose auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Beide Patienten waren 56-jährig, rauchten seit mehr als 30 Jahren täglich eine Schachtel Zigaretten und hatten keine Symptome ausser gelegentlichem, für Raucher nicht ungewohntem Husten und morgendlichem Auswurf.

Die realen Beispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich sich das Leben mit Lungenkrebs, abhängig vom Zeitpunkt der Entdeckung, entwickeln kann. Eine Früherkennung des Krebses, die mit regelmässigem Screening garantiert werden kann, ist für die Prognose, den Behandlungsaufwand und die Kosten relevant. Das grosse Verbesserungspotenzial, das ein gezieltes Screening der Risikogruppe bringt – Raucher zwischen 55 und 74 Jahren, die 30 Jahre lang täglich ein Päckchen Zigaretten geraucht haben – ist wissenschaftlich belegt.1,2 Es wird davon ausgegangen, dass in dieser Risikogruppe ein regelmässiges Screening die 5-Jahres-Überlebenschance von aktuell 14% auf über 50% erhöhen würde und dass es zu einer Senkung der Behandlungs- und der sozio-ökonomischen Gesamtkosten käme (nutzenbringender Mitteleinsatz anstelle eines Kostenschubs durch teure Behandlungen; Vermeidung von Rehabilitationskosten, Arbeitsausfall etc.).

Raucher A

56-jährig, 30 Jahre lang 1 Päckchen Zigaretten pro Tag

Perspektive: Die detaillierten Gewebeuntersuchungen nach der Operation bestätigen die komplette Entfernung des Tumors. Kein Tumornachweis in den Lymphknoten. Der Patient gilt als potenziell geheilt.

Verlauf: Die Nachbehandlung beschränkt sich auf weitere CT-Kontrollen. Fünf Jahre nach der Diagnose geht es dem Patienten ausgezeichnet.

Therapiekosten geschätzt: CHF 40 000.–

lungenkrebs-1
Ausgangslage:
Raucher A wurde
nach einem Autounfall in einem Computertomographen (CT) untersucht: Im CT zeigt sich ein kleiner ­verdächtiger Herd als ­Zufallsbefund (analog einer Screeningsitua­tion).
lungenkrebs-2
Untersuchung:
Die Lungenspiegelung der Luftwege ist unauffällig. Die PET-Untersuchung bestätigt den Verdacht auf einen bösartigen Tumor. Da der Patient keine anderen aktiven Herde (Metastasen oder Tumoren)
zeigt, wird er umgehend operiert.
lungenkrebs-3
Behandlung:
In einer minimalinvasiven Operation wird der Tumor entfernt. Das Gewebe wird während des Eingriffs direkt untersucht und der Lungenkrebs bestätigt. Die Operation wird, ohne den Brustkorb aufzuschneiden, ­fortgesetzt, der Lungenlappen und die Lymphknoten werden entfernt.

Raucher B

56-jährig, 30 Jahre lang 1 Päckchen Zigaretten pro Tag

Perspektive: Die Gewebeuntersuchung bestätigt ein fortgeschrittenes Tumorstadium. Trotz Nachbehandlung mit Strahlen- und Chemotherapie hat der Patient eine 5-Jahres-Überlebensprognose von nur circa 30%.

Verlauf: Zwei Jahre nach der Operation erleidet der Patient einen Rückfall mit Metastasen in Lymphknoten, Knochen und Gehirn. Eine weitere ­Chemotherapie lindert das Leiden, er verstirbt aber zwei Jahre und sieben Monate nach der ersten Diagnose.

Therapiekosten geschätzt: 250 000.–

lungenkrebs-4
Ausgangslage:
Raucher B wurde nach einer Schulteruntersuchung und ­einem Allgemeincheck in die Radiologie überwiesen: Im CT sichtbar sind ein grosser Tumor im Oberlappen rechts und vergrösserte Lymphknoten.
lungenkrebs-5
Untersuchung:
Die Lungenspiegelung zeigt in den grossen Luftwegen keinen Tumor. Die Punktion der Lymphknoten bestätigt den Verdacht auf Lungenkrebs. Im PET offenbart sich ein fortgeschrittenes Stadium mit Befall vieler Lymphknoten und ausgedehntem Tumor.
lungenkrebs-6
Behandlung:
Um den Tumor operieren zu können – was aufgrund seiner Grösse und Länge nicht immer möglich ist – bedarf es einer Vorbehandlung mit Chemotherapie und evtl. Bestrahlung. Drei Monate nach der Vorbehandlung hat er sich verkleinert und kann operiert werden. Es folgt eine aufwendige Operation mit Eröffnung des Brustkorbes und erweiterter Resektion.

Mit geringem Aufwand zur Frühdiagnose

Die Motivation zum Screening liegt heute in den Händen der Hausärzte und der Lungenspezialisten und natürlich jedes Einzelnen, besonders aber der Angehörigen von Rauchern, Nichtrauchern und ehemaligen Rauchern.

Selbstredend ist die allerbeste Prävention das Nichtrauchen. Ein konsequentes Fördern der Screeningprogramme darf als zweitbeste präventive Massnahme gewertet werden: Wie die Beispiele zeigen, wäre ein Screening allemal sehr lohnend und zwingend, um den Lungenkrebs bezüglich Prognose in einen ähnlich erfolgreichen Bereich zu bringen, wie das heute beim Darm- oder Brustkrebs der Fall ist. Mit relativ wenig Aufwand könnte viel gewonnen werden.

The National Lung Screening Trial: Overview and Study Design, ­Radiology, January 2011, 258, 243–253
Survival of Patients with Stage I Lung Cancer Detected on CT Screening, The New England Journal of Medicine, 2006, Vol. 355, No. 17, 1763–71

Lungenkrebs überleben

Je früher Lungenkrebs erfasst wird, desto grösser sind die Heilungschancen. Der Früherkennung von Lungenkrebs widmet sich die Stiftung für Lungendiagnostik: Sie hat sich das Screening von Risi­kogruppen mit niedrig dosierter Computertomographie zur Aufgabe gemacht. Informationen für Patienten, Medien und Spender:

www.lungendiagnostik.ch

Interview mit Prof. Dr. med. Othmar Schöb

Herr Prof. Dr. Schöb, weshalb ist Lungenkrebs so oft tödlich?

Lungenkrebs wäre wie jede andere Krebsart behandelbar. Das Problem ist allerdings, dass viele Betroffene die Möglichkeit einer Erkrankung verdrängen; dies auch deshalb, weil Lungenkrebs im behandelbaren Frühstadium kaum Symptome verursacht. Wir sehen die meisten Bronchus-Karzinome daher erst in fortgeschrittenem Stadium. Dann ist es leider oft zu spät: Nur ein Viertel unserer diagnostizierten Patienten ist überhaupt noch behandelbar. Und nur 15,1% der Patienten leben fünf Jahre nach der Diagnose noch. ­Dieses Ergebnis ist wissenschaftlich kaum mehr verantwortbar und könnte mit einem systematischen Screening der bekannten Risikogruppe deutlich verbessert werden, wie auch das Beispiel im nebenstehenden Artikel aufzeigt.

Sind Frauen und Männer gleichermassen betroffen?

Früher war Rauchen eher Männersache, deshalb gab es lange Zeit mehr Erkrankungen von Männern. Doch seit Rauchen auch bei Frauen «salonfähig» ist, sind sie ebenfalls häufiger von Lungenkrebs betroffen. Mittlerweile ist das Bronchus-Karzinom auf dem besten Weg, anstelle des Brustkrebses die häufigste tödliche Krebserkrankung bei Frauen zu werden.

Wie könnte man die Raucher besser für ein Screening motivieren?

Aus meiner Sicht braucht es dafür zwei wichtige Voraussetzungen: Erstens müssen Ärzte und wissenschaftliche Experten die Risikogruppe – wir sprechen von Rauchern oder ehemaligen Rauchern, die 30 Jahre lang täglich eine Schachtel Zigaretten geraucht haben und zwischen 55 und 74 Jahre alt sind – bekannter machen und Screeningprogramme etablieren. Zweitens sind hier Angehörige, Freunde und ehemalige Raucher ganz entscheidend. Sie wollen einen lieben Menschen keinesfalls zu früh verlieren, und sie können mehr bewirken als alle Abschreckungsbilder auf den Zigarettenpackungen. Letztlich sind sie die Leidtragenden, die mit dem Verlust eines geliebten Menschen umgehen müssen.

Grosse Studien belegen die Wirksamkeit eines Screenings. Können Sie etwas zu den Ergebnissen sagen?

An der im Artikel zitierten Studie ­haben über 50 000 starke Raucher aus der erwähnten Risikogruppe teilgenommen. Sie wurden jährlich mit einem Screening im Computertomographen (CT) untersucht; im Vergleich zur Kontrollgruppe konnte die Sterberate an Lungenkrebs in nur drei Jahren um 20% gesenkt werden. Dieser Unterschied ist deshalb so gross, weil in der CT-Gruppe rund 85% der aufgetretenen Krebserkrankungen schon im Frühstadium entdeckt und behandelt werden konnten.

Und die 5-Jahres-Überlebensrate?

Diese wird in der Studiengruppe deutlich besser ausfallen; das langfristige Potenzial liegt hier im Bereich von bis zu 50%. Allerdings wird dieses Ziel erst erreichbar, wenn das Screening systematisch und langfristig durchgeführt wird. Ohne solche Screeningprogramme wird sie trotz aller teuren medizinischen Therapien weiter bei 15% verharren.

Dies bedeutet, entweder nicht zu rauchen oder sich einem regelmässigen Screening zu unterziehen?

Genau, beides ist hilfreich, wobei das Allerwichtigste die Prävention ist. Nichtraucher erkranken 35-mal seltener an Lungenkrebs, Passivraucher ungefähr 3-mal häufiger als Nichtraucher. Also sollten wir junge Menschen vor dem Einstieg schützen, und dies geht möglicherweise nur dann, wenn der Zigarettenpreis entsprechend hoch liegt. Hat man dennoch mit Rauchen angefangen und gehört später zur Risikogruppe, empfehle ich ein regelmässiges CT-Screening, sich selbst und vor allem seinen Angehörigen zuliebe.

Was kostet ein Screening?

Ein Lungenscreening ist einfach, geht schnell und kostet um die CHF 400.–. Leider werden die Kosten bisher nicht von der Krankenkasse übernommen.

Was geschieht, wenn im CT ein verdächtiger Schatten auftaucht?

Die Nachkontrolle ist in den sogenannten Fleischerkriterien genau geregelt. Einfach erklärt, verläuft das Screeningprogramm wie folgt: Findet sich ein verdächtiger Herd, der kleiner ist als ca. 1 cm, wird zugewartet und eine nochmalige CT-Untersuchung in sechs Monaten durchgeführt. Verändert sich dieser Herd zwischen den beiden CT, besteht Krebsverdacht. Eine weitere Aufarbeitung und eventuelle operative Entfernung des Herdes wird empfohlen. Ist die Unter­suchung unauffällig, empfiehlt sich zurzeit eine Wiederholung der CT alle fünf Jahre. Diese Empfehlung gilt auch für Ex-Raucher. Sie gehören dauerhaft zur Risikogruppe.

Screeningprogramme sind mitunter umstritten. Ins Feld geführt werden Fehldiagnosen und eine Übermedizin.

Die Gefahr jedes Screenings ist die Überdiagnostik. Deshalb ist die prä­zise wissenschaftliche Auswertung und Begleitung solcher Programme zentral. Wir verlassen uns auf die «Fleischerkriterien» und eine zusätzliche CT-Befundung in der Referenzzentrale weltweit. So werden alle Empfehlungen, die sich aus dem gesammelten Screeningergebnis ableiten, breit abgestützt und erst dann umgesetz.