Ein Sturz mit Folgen
PDF | 1.84 MB
Im November 2011 stürzt Herr F. – geboren 1916 – in der Wohnung, die er mit seiner drei Jahre älteren Ehefrau bewohnt. Aufgrund der zunehmenden Schmerzen kann er nicht mehr richtig gehen, so dass die Spitex eingeschaltet wird. Trotz täglich dreimaligem Besuch der Spitex sowie Schmerzmedikamenten verbessert sich die Situation nicht. Herr F. wird ins Spital eingewiesen.
Die Untersuchungen ergeben eine nicht verschobene Schenkelhalsfraktur rechts, die nicht operiert werden muss. Mit mehr Schmerzmedikamenten ist das Gehen am Rollator in Begleitung für kurze Strecken möglich. Das Aufstehen aus dem Bett oder Stuhl bereitet aber nach wie vor Schmerzen. Die umfassende geriatrische Untersuchung ergibt eine mangelnde Ernährung, ein Defizit der muskulären Kraft und des Gleichgewichts sowie der Gedächtnisfunktionen. Diese Befunde weisen auf eine erhöhte Sturzgefahr und Einschränkung der Selbstständigkeit hin.
Der Patient ist seit über 50 Jahren verheiratet und hat sich in der Alltagsgestaltung bisher sehr gut mit seiner Ehefrau ergänzt. Die Ehefrau ist nahezu blind und hört nur noch wenig, ist aber deutlich mobiler als ihr Ehemann. Sie haben keine Kinder und sind deswegen auf eine gute Mobilität des Ehemannes zur selbstständigen Lebensführung angewiesen. Diese Befunde, einhergehend mit der akuten Schenkelhalsfraktur und einer beginnenden Gedächtnisstörung, rechtfertigen eine intensive geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung.
Diese Behandlung umfasst ein intensives Trainingsprogramm mit Physiotherapie, Ergotherapie und Gedächtnistraining. Zwei Mal täglich erhält der Patient physiotherapeutische Anleitung, einmal mit dem Vordergrund der muskulären Kräftigung, ein zweites Mal erlernt er Techniken, wie er im Alltag Hindernisse überwinden und gleichzeitig die Sturzgefahr reduzieren kann.
Durch die Ergotherapie erlernt Herr F. die Körperhygiene und das Ankleiden mit geringen Hilfsmitteln selbstständig auszuführen. Zudem lernt er kleine Handreichungen in der Küche, so dass er seine Ehefrau unterstützen kann. All diese Tätigkeiten erlernt er unter Anwendung des Rollators.
Mit Gedächtnistraining werden seine Gedächtnisleistungen aktiviert, wie zum Beispiel durch das Lesen alltagsbezogener Zeitungsartikel, die Planung von Mahlzeiten oder das Erstellen von Einkaufszetteln. Zudem analysiert die Ernährungsberaterin mit dem Ehepaar das aktuelle Essverhalten und instruiert die notwendigen Ergänzungen.
Insgesamt hat Herr F. täglich drei Therapietermine. Einer davon findet im Rahmen einer Gruppe statt. Bereits in der zweiten Behandlungswoche ist er in der Lage, das Bett nur noch mit geringer Hilfestellung zu verlassen.
Einmal wöchentlich bespricht sich das ganze Behandlungsteam rund um Herrn F., um die Fortschritte zu dokumentieren und eine möglichst optimal abgestimmte Betreuung in allen Therapieformen zu gewährleisten: Beim hochbetagten Herrn F. kommt es zu einer erstaunlich schnellen Wiederherstellung der Alltagsfunktionen. Dies vor allem dadurch, dass die Schenkelhalsfraktur tatsächlich auch mit der erhöhten Belastung nicht ins Rutschen gerät.
Zweieinhalb Wochen nach Eintritt ins Spital findet eine Beurteilung der häuslichen Situation mit der Physiotherapie und der Ergotherapie statt. Dabei können einerseits das Erreichen der Wohnung geübt und andererseits allfällige Problemstellen in der Wohnung ausgeräumt werden. In diesem Falle werden Zierteppiche als Stolperfallen entfernt, die Dusche mit einem Duschsitz und der Esszimmerstuhl mit einem Kissen als Sitzerhöhung ausgestattet.
Dem Austritt nach Hause steht nun nichts mehr im Wege. Damit Herr F. die erlernten Praktiken auch im häuslichen Umfeld nutzen kann, werden weitere neun Physiotherapien in der Wohnung angesetzt.
Ältere Patienten (in der Regel über 65 Jahre) mit mehreren Krankheiten werden in einem Team mit Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und Ernährungsberatung behandelt. Die Geriaterin ordnet die benötigten Therapien und Hilfestellungen an. In Abklärungen mit den Patienten sucht sie die geeignete Lebensform für die aktuelle Situation und hilft, eine möglichst hohe Selbstständigkeit im Alltag zu erreichen.
Die frührehabilitative Komplexbehandlung ist ein ganzheitlicher therapeutischer Ansatz, um eine Wiederherstellung der grösstmöglichen Mobilität und Selbständigkeit erreichen zu können