Viele denken bei Urologie zuerst an Prostatakrebs oder Männergesundheit. Doch urologische Erkrankungen betreffen auch Frauen – von Blasenentzündungen über Inkontinenz bis hin zu Tumorerkrankungen. Im Interview spricht die Urologin Dr. med. Michaela Mack darüber, an welchen Beschwerden insbesondere Frauen leiden, warum die Zusammenarbeit mit der Gynäkologie so wichtig ist und weshalb es höchste Zeit ist, das Tabu zu brechen.
Urologie ist auch Frauensache: Dr. med. Michaela Mack über Beschwerden, Tabus und Lösungen.
Frau Dr. Mack, die meisten Menschen denken beim Begriff «Urologe» zunächst an einen Männerarzt. Warum ist das ein weitverbreitetes Missverständnis?
Die Urologie behandelt Erkrankungen der Harnwege – und die haben Männer wie Frauen. Das Missverständnis kommt wohl daher, dass wir bei Männern zusätzlich Erkrankungen ihrer Geschlechtsorgane behandeln, also etwa Prostatakrebs, Hodentumore oder Erektionsstörungen. Solche Themen sind medial präsent, zum Beispiel bei Aufklärungskampagnen wie «Movember». Dadurch denken viele automatisch: Urologie = Männerarzt, Gynäkologie = Frauenärztin. Und so geraten die frauenspezifischen urologischen Themen in den Hintergrund.
Welche urologischen Erkrankungen betreffen insbesondere Frauen?
Das sind Harnwegsinfekte – oft auch chronisch wiederkehrend –, eine überaktive Harnblase, Inkontinenz, Blasenentleerungsstörungen, Nieren- oder Harnleitersteine, aber auch seltenere Krankheitsbilder wie eine interstitielle Zystitis (chronische Blasenentzündung). Auch Nierenbeckensteine, Blasenkrebs und Tumore der Harnwege oder chronische Beckenbodenschmerzen fallen in unseren Bereich. Krankheitsbilder, die bei Männern und bei Frauen vorkommen und teilweise eine Behandlung benötigen, sind unter anderem angeborene Fehlbildungen des Harntrakts wie zum Beispiel doppelte Harnleiter, geteilte Harnleiter oder Divertikel in der Blase (Ausstülpungen der Harnblasenwand).
Mit welchen Beschwerden sollten Frauen zur Urologin kommen?
Schmerzen oder Brennen beim Wasserlassen, häufiger Harndrang, ungewollter Urinverlust, Blut im Urin, Flankenschmerzen oder das Gefühl, die Blase nicht vollständig entleeren zu können – all das gehört in die urologische Abklärung. Blut im Urin sollte immer ernst genommen werden, weil dahinter auch Tumorerkrankungen stecken können.
Viele Frauen gehen bei Blasenproblemen zuerst zu ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen. Ist das problematisch?
Überhaupt nicht. Gynäkologen und Gynäkologinnen sind für viele Frauen die vertrauteste Anlaufstelle, oft schon seit der Pubertät. Es gibt viele Überschneidungen, etwa beim Beckenboden oder der Inkontinenz. Aber: Wenn Beschwerden wiederkehren, komplex werden oder mit anderen urologischen Symptomen einhergehen, sind wir die richtige Adresse. Gynäkologie und Urologie ergänzen sich hier ideal.
Wie ergänzen sich Gynäkologie und Urologie sinnvoll in der Versorgung von Frauen?
Bei Inkontinenz, Blasensenkungen oder Beckenbodenschwächen arbeiten wir eng zusammen. Die Urologie klärt vor allem anatomische und funktionelle Ursachen ab, während die Gynäkologie eher hormonelle oder die gynäkologischen Organe betreffenden Ursachen untersucht. Wichtig ist, dass Patientinnen von beiden Fachrichtungen profitieren.
Gibt es Unterschiede, wenn eine Urologin speziell Frauen behandelt?
Der Ansatz für die Behandlung, ob jetzt Mann oder Frau, ist prinzipiell gleich. Bei Urologinnen, die speziell Frauen behandeln, gibt es jedoch Unterschiede in der Kommunikation. Im Gespräch von Frau zu Frau empfinden es viele Patientinnen als erleichternd, intime Beschwerden einer Frau zu schildern – gerade bei sensiblen Themen wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder Missbrauchserfahrungen. Unterschiede gibt es auch in der Diagnostik, wo wir speziell auf die weibliche Anatomie eingehen können und – wie bereits erwähnt – oft mit Gynäkologen und Gynäkoliginnen zusammenarbeiten.
Erleben Sie im Alltag, dass sich Frauen bei Ärztinnen wohler fühlen?
Ja, oft höre ich: «Zum Glück sind Sie eine Frau, dann kann ich offener sprechen.» Scham ist ein grosses Thema. Frauen erzählen manchmal Dinge, die sie bei einem männlichen Kollegen vielleicht nicht ansprechen würden. Auch das Entkleiden vor einer Ärztin ist häufig nicht so schambehaftet wie vor einem Arzt. Insbesondere jüngeren Patientinnen ist das lieber. Das Vertrauen ist entscheidend. Je mehr ich weiss, desto gezielter kann ich helfen. Vieles, das in der Diagnostik nicht offensichtlich ist, finde ich im Gespräch heraus. Und Gespräche muss ich häufig sehr sensibel führen.
Warum ist es wichtig, dass Frauen wissen, dass es urologische Fachärztinnen auch für sie gibt?
Weil das die Hemmschwelle senkt, frühzeitig Hilfe zu suchen. Viele warten aus Scham oder Unwissenheit – und riskieren damit, dass sich Erkrankungen verschlimmern. Inkontinenz oder eine überaktive Harnblase kann zur sozialen Isolation führen, Blut im Urin wird manchmal fälschlich als Blasenentzündung abgetan. Bei Blasentumoren sehen wir leider oft fortgeschrittene Stadien, weil die Diagnose zu spät gestellt wird. Es ist wichtig, dass Frauen frühzeitig zur Abklärung kommen, damit ein stilles Leiden in eine aktive Behandlung übergeht und sie wieder an Lebensqualität gewinnen.
Gibt es Lebensphasen, in denen urologische Betreuung besonders wichtig ist?
Eigentlich in allen. In der Schwangerschaft zum Beispiel bei Harnstauungen, die manchmal zu einer Infektion führen. In den Wechseljahren wegen hormonell bedingter Blasenprobleme oder im höheren Alter, wenn Tumorerkrankungen häufiger auftreten oder Inkontinenz. Auch junge Frauen können betroffen sein – etwa durch wiederkehrende Blasenentzündungen.
Was raten Sie Frauen, die unsicher sind, ob ihre Beschwerden urologisch sind?
Einfach kommen, und zwar lieber zu früh als zu spät. Im Zweifel klären wir das ab und verweisen weiter, wenn die Beschwerden ein anderes Fachgebiet betreffen.
Wie lautet Ihre Botschaft an Frauen, um das Tabu oder die Unsichtbarkeit der Urologie für Frauen zu brechen?
Urologische Gesundheit ist nicht ausschliesslich Männersache. Frauen haben ebenso urologische Bedürfnisse – von der Kindheit bis ins hohe Alter. Wir Urologinnen sind dafür da, diese sichtbar zu machen, Scham abzubauen und Lösungen zu finden. Keine Frau sollte still leiden.