Patientenzeitschrift "Am Puls der Medizin"

Abnützungserkrankungen der Halswirbelsäule sind häufig und erfordern nicht selten chirurgische Massnahmen. Als operativer Standard galten bisher die versteifenden Eingriffe. Seit über 10 Jahren verfügen wir in der Schweiz auch über die bewegungserhaltende Möglichkeit der Implantation von Bandscheibenprothesen. Die klinische Erfahrung und neuere Studien sprechen dafür, dass sich diese neuere Technik bewährt, sich aber nicht für jeden Patienten eignet. Die Prothesen sind somit nicht eine eigentliche Alternative zu versteifenden Operationen, sondern eine Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten.

Abnützungen oder Verschleisserscheinungen an der Halswirbelsäule sind seltener als an der Lendenwirbelsäule. Rund 10% der ärztlichen Konsultationen ausmachend, sind sie jedoch nicht ein seltenes Phänomen. Abnützung von Gelenken und Bandscheiben können durch Beeinträchtigung der Platzverhältnisse von Nerven zu heftigen Schmerzausstrahlungen in die Arme, manchmal begleitet von umschriebenen Gefühlsstörungen oder von Lähmungen einzelner Muskelgruppen, bei Kompression des Rückenmarks sogar zu Lähmungen an Armen und Beinen mit Gang-, Gleichgewichts- oder gar Blasenstörungen, führen. Bei Versagen der konservativen Therapie oder in Fällen mit schweren neurologischen Störungen ist eine operative Behandlung in der Regel unumgänglich. Als weltweit anerkannter «goldener Standard» wurde bisher nach kompletter Entfernung der kranken Bandscheibe eine Wirbelversteifung durchgeführt, sei es durch Einbringen von Eigenknochen und Metallplatte oder sei es durch Einbau eines künstlichen Platzhalters («cage» oder «Käfig»). Eine Erhaltung der Bandscheibe und somit Umgehung einer Versteifung ist nur bei selteneren speziellen Bandscheibenvorfällen möglich. Mit den versteifenden Operationsverfahren werden jedoch nach wie vor sehr gute Resultate, auch im Langzeitverlauf, erzielt.

Die Beobachtung, dass nach Versteifungsoperationen die noch beweglichen Nachbaretagen (Anschlusssegmente) eine Mehrbelastung erfahren und dadurch vorzeitige Abnützungserscheinungen auftreten können, weckte den Wunsch nach Implantaten, die einen bewegungserhaltenden Bandscheibenersatz ermöglichen. Nach intensiver Forschung wurden vor zirka 15 Jahren erste Bandscheibenprothesen für die Halswirbelsäule entwickelt, die vor etwa 10 Jahren Marktreife erlangten und seither in grösserem Rahmen in geeigneten Fällen eingebaut werden.

Die Bandscheiben-Prothesenimplantation hat sich schnell als eine sichere und relevant wirksame Therapieoption erwiesen. Anhand der Langzeitdaten wissen wir auch, dass es sich um eine nachhaltige Therapie handelt. Die überwiegende Anzahl der Prothesen behält ihre Funktion auch nach mehreren Jahren noch bei. Der sehr geringe Abrieb führt kaum zu aseptischen Implantatlockerungen, wie zuvor von den Prothesen der grossen Körpergelenke bekannt. Die Revisionsrate ist sehr gering, Implantatversagen sind praktisch inexistent. Bezüglich des Vorteils der Prothese gegenüber der Versteifung ist die Datenlage allerdings noch kontrovers. Gewisse Studien konnten bessere funktionelle Ergebnisse nachweisen und In-vitro-Studien legen nahe, dass eine Versteifung zu einer Veränderung der Bewegungen der Anschlusssegmente führt. Für eine verminderte Abnützung der Anschlusssegmente konnte aber bisher kein eindeutiger Nachweis erbracht werden. Weitere Studien könnten diese Frage in der Zukunft beantworten.

Trotz der weit verbreiteten Begeisterung für Bandscheibenprothesen darf nicht vergessen werden, dass sie nicht für jeden Patienten von Vorteil, bei einigen gar von Nachteil sind. Hierzu muss beachtet werden, welcher krankhafte Prozess zu den klinischen Symptomen führt. Ein Bewegungssegment, bestehend aus Bandscheibe, den Zwischenwirbelgelenken, den Unkovertebralgelenken und den zugehörigen Bändern und Muskeln, kann oft kombinierte Abnützungserscheinungen aufweisen. Liegt also beispielsweise neben einer Abnützung der Bandscheibe auch eine symptomatische Arthrose der Zwischenwirbelgelenke vor, wird eine implantierte Bandscheibenprothese zu weiterer Belastung dieser Gelenke und auch zu weiteren Schmerzen führen. Im Gegensatz dazu wirkt eine Versteifung in diesem Fall wie eine erwünschte Ruhigstellung der Gelenke. Es muss also vor der Operation entschieden werden, ob eine Bewegungserhaltung oder eine Ruhigstellung des Segmentes erwünscht ist. Zur Abklärung, ob auch die Fazettengelenke an den Beschwerden beteiligt sind, kann eine Infiltration der Fazettengelenke hilfreich sein.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Bandscheibenprothesen in der bis jetzt 10-jährigen Beobachtungsdauer als sichere und wirksame chirurgische Therapieform in der Behandlung gewisser Abnützungserkrankungen der Halswirbelsäule etabliert haben. Sie sind nicht eine eigentliche Alternative zur seit Jahrzehnten bewährten Versteifungsoperation, sondern eine Ergänzung der chirurgischen Möglichkeiten für ausgewählte Patienten. Weitere Langzeitstudien sind zur Beantwortung noch offener Fragen notwendig.