Hirslanden Fachartikel

Bestimmte gynäkologische Krebsformen sind erblich begünstigt. Eine genetische Untersuchung gibt bei begründetem Verdacht Aufschluss, ob ein vererbtes Risiko besteht. Wurde eine Vererbung festgestellt, können frühzeitige Krebsvorsorgeuntersuchungen und bei Bedarf rechtzeitig vorbeugende Massnahmen erfolgen und die Prognose erheblich verbessern.

Quelle: Magazin Leben mit Krebs – Thomas Ferber 

Dr. med. Julia Katharina Bickmann, sind gynäkologische Krebserkrankungen vererbbar?

Dr. Bickmann: Wir finden genetische Ursachen bei vielen gynäkologischen Krebserkrankungen, insbesondere bei Mamma-, Ovarial-, Tuben-, Peritoneal- und Endometriumkarzinomen. Bestimmte Formen werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% auf erstgradige Angehörige (Eltern, Geschwister, Kinder) vererbt, unabhängig vom Geschlecht. Die Erkrankungsrisiken können jedoch für Männer und Frauen sehr unterschiedlich sein.

Was sind Hinweise auf eine erbliche Veranlagung?

Dr. Bickmann: Hinweise ergeben sich beispielsweise aus dem jüngeren Erkrankungsalter, bestimmten feingeweblichen oder genetischen Eigenschaften des Tumorgewebes oder einer Häufung von bestimmten Krebserkrankungen in einer Person oder in einer bestimmten Vererbungslinie innerhalb der Familie. Auch das Auftreten von seltenen Tumoren (z.B. Mammakarzinome bei Männern) ist häufiger bei genetisch bedingten Erkrankungen zu beobachten.

Wie findet man selbst heraus, ob eine genetische Erkrankung in der Familie vorliegen könnte?

Dr. Bickmann: Ich empfehle immer, die eigene Familie zu chronischen oder schweren Erkrankungen in der Familie zu befragen und möglichst zu Lebzeiten der Betroffenen eine umfassende Bestandsaufnahme inklusive der Erkrankungsalter anzufertigen. Wir bieten dazu ein Stammbaumformular auf unserer Webseite an. Damit kann am ehesten dokumentiert und aufgedeckt werden, ob in der Familie bestimmte Erkrankungen immer wieder vorkommen und ob sich dahinter eine genetische Ursache verbergen könnte. Bei Verdacht ist es jederzeit möglich, sich mit dem Stammbaum in einer Beratungsstelle vorzustellen und abzuklären, ob und welche genetische Untersuchung möglich wäre und welcher Nutzen daraus gezogen werden könnte. Ich empfehle auch, klinische Unterlagen der Vorfahren nach Möglichkeit aufzuheben, da diese später vielleicht nicht mehr eingeholt werden können und für eine Beurteilung oft wegweisend sind.

Wie läuft solch ein Beratungsgespräch ab?

Dr. Bickmann: Ich erhebe eine umfassende Anamnese zur eigenen und familiären Vorgeschichte und prüfe, ob eine genetische Diagnostik angeboten werden kann und wenn ja, welche. Danach erfolgt die Aufklärung der oder des Ratsuchenden über die Untersuchung, die möglichen Ergebnisse der Untersuchung und deren Bedeutung für das weitere eigene Leben und möglicherweise des Lebens weiterer Angehöriger. Eine genetische Untersuchung wird erst nach ausreichender Bedenkzeit und schriftlich dokumentierter Einwilligung vorgenommen. Die hierfür notwendige Kostengutsprache von der Krankenkasse wird im Anschluss an das Gespräch von mir eingeholt. Die Erläuterung des Befundes und seiner Bedeutung für die untersuchte Person und ggf. weitere Angehörige wird in einem separaten Beratungsgespräch erläutert.

Welchen Patientinnen/Angehörigen empfehlen Sie eine genetische Beratung?

Dr. Bickmann: Grundsätzlich kann sich jede Person bei Verdacht auf eine erbliche Erkrankung für eine genetische Beratung anmelden. Da die Untersuchung jeweils zuerst bei einer erkrankten Person durchgeführt wird, bevor gesunde Angehörige abgeklärt werden können, empfehlen wir, diese (soweit möglich und erwünscht) zum Termin mitzubringen. Wurde in der Vergangenheit bereits der Verdacht auf eine genetische Erkrankung geäussert und war diese zum damaligen Zeitpunkt aber nicht zu bestätigen, kann der Fall ggf. auch nach längerer Zeit wieder aufgerollt werden, da sich die diagnostischen Möglichkeiten in der Genetik über die Zeit stark erweitert haben.

Der Gentest ist eine Chance, der Erkrankung durch eine vorgezogene intensivierte Vorsorge oder einer prophylaktischen Massnahme zuvorzukommen.

Welche Tests werden gemacht?

Dr. Bickmann: Das Testverfahren hängt stark von der Fragestellung und der klinischen Verdachtsdiagnose ab. Nach erfolgter Kostengutsprache der Krankenkasse können mit einer Blutentnahme heutzutage mehrere Gene parallel untersucht werden (Next-Generation Sequencing). Für viele genetische Krankheitsbilder hat sich eine breit angelegte sogenannte Panel-Diagnostik als Standard etabliert; das bedeutet, es werden gleichzeitig die Gene untersucht, die mit klinisch sehr ähnlichen bzw. stark überlappenden Krankheitsbildern assoziiert sind. Die Daten, die dabei erhoben werden, eignen sich häufig auch für eine Re-Analyse im zeitlichen Abstand, wenn der Wissensstand entsprechend höher ist und entsprechend mehr Gene ausgewertet werden können.

Viele Patientinnen haben Angst vor den Ergebnissen eines Gentests. Was raten Sie?

Dr. Bickmann: Es gibt für diese Situation keinen Rat, der zu jedem Menschen oder jeder Lebenssituation passend wäre. Wir können davon ausgehen, dass die meisten erblichen Tumorerkrankungen schon über eine sehr lange Zeit – also viele Generationen – in den Familien weitervererbt worden sind. Der Gentest ist eine Chance, denn anstatt von einer schweren Erkrankung möglicherweise schon in einem jungen Lebensalter überrascht zu werden, besteht häufig zum ersten Mal die Möglichkeit, der Erkrankung durch eine vorgezogene intensivierte Vorsorge oder einer prophylaktischen Massnahme zuvorzukommen. Frühzeitig erkannte Tumorerkrankungen haben im Vergleich mit fortgeschrittenen Stadien weit bessere Heilungschancen. Diese Möglichkeit stand früheren Generationen häufig nicht zur Verfügung. Ausser einer ausreichenden Bedenkzeit können auch psycho-onkologische Beratungen in Anspruch genommen werden, um das Für und Wider in der eigenen Lebenssituation ausreichend zu reflektieren, bevor man sich zu diesem Schritt entscheidet.

Was passiert, wenn der Gentest einen «positiven» Befund ergibt?

Dr. Bickmann: Wenn die genetische Untersuchung einen Befund liefert, der die eigene und evtl. auch die weiteren Erkrankungen in der Familie eindeutig erklärt, habe ich mit grosser Wahrscheinlichkeit die Ursache für die Erkrankung gefunden. Dann gibt es meist eine klare Strategie für die weitere Vorsorge und eventuell auch prophylaktische Massnahmen. Diese Ergebnisse haben auch einen Vorhersagewert für Angehörige und können genutzt werden, um auch diesen präventive Massnahmen zu ermöglichen. Generell empfehlen wir, den Befund mit der Familie zu teilen, damit weitere Angehörige eine genetische Beratung und prädiktive Testung in Anspruch nehmen können. Je nach Befund organisiere ich dann auch die Anbindung an eine Spezialsprechstunde, beispielsweise an eines der zertifizierten Brustzentren der Klinik Hirslanden, sofern das im Vorfeld nicht bereits erfolgt ist. Wichtig ist jedoch auch, dem Befund hinsichtlich der eigenen Lebenssituation Rechnung zu tragen. Deshalb ist es Standard, in solchen Situationen sowohl psycho-onkologische Angebote vorzuhalten als auch die Kontaktaufnahme zu entsprechenden Patientenorganisationen zu ermöglichen.

Welche Möglichkeiten haben Frauen, bei denen eine Veranlagung nachgewiesen wurde?

Dr. Bickmann: Der Befund erfordert in der Regel eine intensive Vorsorge und ggf. prophylaktische Massnahmen, welche über spezialisierte und zertifizierte Krebszentren erfolgen (z.B. im Gynäkologischen Krebszentrum oder den Brustzentren der Klinik Hirslanden). Durch eine prophylaktische Entfernung z.B. der Eierstöcke zum richtigen Zeitpunkt (seit Januar 2024 eine Krankenkassen-Pflichtleistung) und/oder durch engmaschige und frühzeitige Untersuchungen kann der Verlauf bei vielen Frauen mit einem erhöhten Risiko günstig beeinflusst oder das Auftreten einer Krebserkrankung ganz verhindert werden.

Sind Sie interessiert an einer genetischen Beratung? Melden Sie sich bei uns unter hirslanden.precise@hirslanden.ch oder +41 44 511 39 11.