Beitrag: Hüftgesundheit dank Fahrradfahren
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Sie ist jedes Jahr eines der Highlights des Sportsommers: Die Tour de France. Vom 1. bis 23. Juli 2023 kämpfen die besten Rennradfahrer der Welt wieder um das «Maillot Jaune». Obwohl die Tour de France ein Wettbewerb für Profisportler ist, motiviert sie jedes Jahr Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern, sich ebenfalls auf das Fahrrad zu schwingen. Die Bewegung an der frischen Luft sorgt für gute Laune, verbessert die Fitness und ist erst noch gut für die Gelenke. Prof. Dr. Anke Eckardt erklärt, weshalb sich dieser Sport besonders auch für Personen mit Hüftproblemen eignet. Sie ist Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates und arbeitet im ENDO-Team an der Hirslanden Klinik Birshof in Münchenstein.
Stärkung der Muskulatur
Beim Fahrradfahren werden verschiedene Muskelgruppen aktiviert. Das sind besonders der grosse Kniestreckermuskel am vorderen Oberschenkel, der Quadrizepsmuskel, der grosse Gesässmuskel Gluteus Maximus und auch die übrige, das Hüftgelenk führende Muskulatur, besonders die Hüftstrecker. Das regelmässige Treten der Pedale stärkt diese Muskeln, was zu einer besseren Stabilität und Hüftfunktion beitragen kann. Diese Muskulatur zu stabilisieren und zu erhalten, ist gerade bei Arthrose wichtig. Betroffene, die unter einem sogenannten Hüftimpingement leiden – dem schmerzhaften Einklemmen des Schenkelhalses mit der knorpeligen Gelenklippe, die das Hüftgelenk umfasst und stabilisiert –, dürfen Velofahren, sofern sie nicht zu kräftig in die Pedale treten und vor allen Dingen eine tiefe Hüftbeugung durch richtige Satteleinstellung vermeiden. Ein weiterer Muskel, der beim Radeln trainiert wird, ist das Herz. Dadurch erhöht sich die allgemeine Fitness und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert sich.
Gelenkschonendes Training
Im Vergleich zu vielen anderen sportlichen Aktivitäten ist Fahrradfahren gelenkschonend. Das Körpergewicht wird durch das Rad getragen, was die Belastung der Hüft- und Kniegelenke reduziert. Dadurch eignet sich Radfahren auch für Menschen mit Gelenkverschleiss, der Arthrose. Sie sollten den Sattel etwas niedriger einstellen, damit sie gut und sicher absteigen können, aber nicht zu tief, damit die Kniescheiben nicht unnötig stark belastet werden. Der Lenker sollte höher sein als der Sattel, damit man nicht gebückt, sondern eher aufrecht auf dem Velo sitzen kann. Bei Patientinnen und Patienten, die durch die typische Bewegungseinschränkung bei Hüftarthrose mit nach aussen gerichteten Füssen laufen und deren Knie und Füsse auch auf dem Rad nach aussen zeigen, können verbreiterte Pedale Abhilfe schaffen. Die Verwendung von Klickpedalen ist bei Hüftarthrose oft problematisch, aber nicht unmöglich, sofern sie gut, eben auch nach aussen, eingestellt sind. Ist jemand in seiner Mobilität eingeschränkt, kann ein Rad mit tiefem Einstieg gewählt werden, also für die Männer kein klassisches «Herrenrad» mit Stange.
Verbesserung der Beweglichkeit
Regelmässiges Fahrradfahren fördert die Beweglichkeit der Hüftgelenke, auch bei Vorliegen einer Arthrose. Durch die kontinuierliche kreisförmige Bewegung wird der Knorpel «massiert». Die von der Kapsel gebildete «Gelenkschmiere» wird verteilt und kann vom Knorpel zu dessen Ernährung aufgenommen werden. Dadurch nimmt die Reibung, der Widerstand bei der Bewegung ab und der Knorpel wird geschont.
Durch das Pedalen werden zudem die Gelenke mobilisiert und die mit der Arthrose einhergehende Abnahme des Bewegungsumfangs vielleicht vermieden.
Wurde ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt, kann in der Regel nach rund drei Monaten mit Fahrradfahren draussen begonnen werden. Ein Standfahrrad drinnen zu benutzen, geht schon recht bald nach der Operation. Für das Velofahren im Strassenverkehr und die damit verbundene Sturzgefahr muss genügend Kraft da sein, um abspringen zu können und das Rad zu stabilisieren. Das Implantat, das Kunstgelenk, sollte eingeheilt sein, was nach drei Monaten der Fall ist.
Kalorienverbrennung und Gewichtskontrolle
Übergewicht belastet die Hüftgelenke und kann nicht nur zu Knie-, sondern auch zu Hüftproblemen führen. Wird die Belastung auf die Hüfte reduziert, können potenzielle Schäden verringert oder vermieden werden. Bei früher Arthrose im Knie gilt: Bei einem Gewichtsverlust von 10 kg reduzieren sich die Beschwerden im Allgemeinen um 50 %.
Für die Hüfte liegen zwar keine solchen Daten vor, aber die Zahlen werden sich in einem ähnlichen Rahmen bewegen. Wer nun aber Gewicht verlieren möchte, kommt neben einer gesunden Ernährung nicht darum herum, sich regelmässig zu bewegen. Fahrradfahren ist ideal, um Kalorien zu verbrennen. Allerdings ist der Kalorienverbrauch nicht ganz so hoch wie z.B. beim Joggen. Eine Stunde langsames Fahrradfahren verbraucht bei einer Geschwindigkeit bis zu 15 km/h lediglich rund 200-300 kcal. Wer schneller radelt (>18km/h) verbraucht immerhin 300-400 kcal in der Stunde. Aber egal wie schnell: Jegliche sportliche Aktivität ist besser, als nichts zu tun. Und mit der Zeit machen die Ausflüge auf dem Rad vielen Patientinnen und Patienten richtig Freude, sie geniessen die Übersetzung der eigenen Kraft auf die Geschwindigkeit der Fortbewegung mit dem Velo und spüren rasch die zunehmende Fitness, den direkten Erfolg des Trainings.
Überlastung und Verletzungen
Eine übermässige Belastung der Hüftgelenke kann zu Verletzungen wie Sehnenansatz- oder Schleimbeutelentzündungen führen. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, das Fahrrad richtig einzustellen und die Intensität des Trainings schrittweise zu steigern. Es lohnt sich, ein bisschen Geld in einen bequemen Sattel zu investieren. Vermeiden sollte man den Wiegetritt, bei dem man stehend Velo fährt. Dadurch, dass die kreisförmige Bewegung des Pedalens unterbrochen wird und man hin und her schaukelt, wird die Hüfte stärker belastet und kann mit Schmerzen reagieren.
Falsche Sitzposition
Auch eine falsche Sitzposition auf dem Fahrrad kann zu ungesunder Belastung der Hüftgelenke führen. Es ist wichtig, dass der Sattel und der Lenker richtig eingestellt sind und die Haltung beim Fahren korrekt ist. Jedes Fahrrad sollte ergonomisch auf die eigene Körpergrösse und -struktur abgestimmt sein (siehe Kasten).
Auf den Sattel schwingen kann sich jede und jeder bis ins hohe Alter – trotz Hüftproblemen oder Arthrose. Sind die Gelenke bereits etwas angeschlagen, sollte eher ein Fahrrad mit vielen Gängen benutzt werden. Es macht Sinn, kleinere Gänge und flache Strecken zu wählen und mit wenig Kraft in die Pedale zu treten. Gut sind mindestens drei Mal 30 Minuten pro Woche … oder mehr.
Ob auf dem Velo draussen, auf dem Hometrainer oder E-Bike spielt dabei keine Rolle. Es geht nicht darum, das «Maillot Jaune» zu gewinnen, sondern mit Freude etwas für die eigene Hüftgesundheit und das Wohlbefinden zu tun.