Hirslanden Fachartikel

Die Gelenksprothetik hat seit den Anfängen in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts enorme Fortschritte erzielt. Mit Hilfe von Medizinaltechnik, Ingenieuren, Computer und Informatiker ist der Einsatz der Knieprothese zu einem hochkomplexen Eingriff geworden, der nur von einem Team von Spezialisten unter der Führung des Chirurgen bewältigt werden kann.

Funktion Kniegelenk

Seit der Mensch vor ca. 3 Mio. Jahren das Gehen auf 2 Beinen erlernt hat, ist die Knie- und Hüftgelenkstellung im aufrechten Gang praktisch gleich geblieben. Die Geschichte des künstlichen Kniegelenkersatzes (Knieprothesen) beginnt in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, interessanterweise etwa zur gleichen Zeit wie auch die Entwicklung des Personalcomputers.

Die ersten Knieprothesen waren Monster in Form von metallischen Scharniergelenken, die mit langen Einsätzen im Ober- und Unterschenkel verankert wurden. Der Spitalaufenthalt dauerte rund 6 Wochen und das Gelenk hatte eine Lebensdauer von knapp 10 Jahren. Im Jahr 1982 hat Prof. Werner Müller aus Basel ein grundlegendes Werk zum Kniegelenk verfasst, das – um das Kniegelenk zu verstehen – über Jahrzehnte als Standardwerk galt.

Das Kniegelenk ist nicht nur ein Scharniergelenk sondern ein hochkomplexes Gebilde, das über Sensoren, so genannte Propriorezeptoren, verfügt. Diese Sensoren geben jederzeit Rückmeldung zur Stellung des Knies im Raum, Sensoren sind Gelenkknorpel, Menisken, Kreuzbänder, Seitenbänder und Kniescheibe. Die Strukturen ermöglichen dem Kniegelenk die erforderlichen Gelenkbewegungen, stabilisieren es und helfen, richtig auf Belastungen zu reagieren. Mit Hilfe dieser Sensoren und der richtigen Informationsverarbeitung im Kleinhirn sowie der Befehlsausgabe an die Gelenkstrukturen werden hochkomplexe Vorgänge möglich. So ist zum Beispiel der Mensch fähig, mit Hilfe dieser Informationsverarbeitung, auf zwei Beinen einen Geröllhang hinunter zu laufen. Nicht einmal der modernste Roboter, ausgestattet mit den besten Computern hat das bis heute geschafft!

Arthrose

Ab 40 Jahren leidet ein Drittel der Bevölkerung an Arthroseerscheinungen. Der Gelenksknorpel wird dünner, brüchiger oder im schlimmsten Fall gänzlich abrasiert. Die Folge davon: Die Knochen reiben aufeinander was zu Schmerzen und Gelenkschwellungen bis hin zu Versteifungen des Gelenkes und Fehlstelllungen der Beine (X-Beine, O-Beine) führen kann.

Die Schmerzen treten anfänglich typischerweise am Morgen auf, bis das Gelenk «eingelaufen» ist oder bei Belastungen und die freie Gehstrecke ist zunehmend eingeschränkt. Bei starken Gelenkzerstörungen kann das Knie instabil werden – der Gang wird unsicher. Schlussendlich schmerzt das Knie sogar in Ruhe und im Schlaf.

Die Arthrose kann nach Verletzungen auftreten oder durch angeborene Fehlstellungen begünstigt werden. Weitaus am häufigsten ist sie aber eine Folge der natürlichen, mit dem Alter stärker werdenden Abnutzung. Warum die einen diese natürliche Abnutzung stärker zu spüren bekommen als andere Menschen, ist zum Teil auch erblich bedingt. Früher war auch die Tuberkulose-Erkrankung für viele Gelenkzerstörungen verantwortlich, heute ist diese Krankheit praktisch verschwunden. Dafür hat die Zahl der Gelenkschäden durch Tumore zugenommen, da die Menschen Krebserkrankungen mit Knochenmetastasen im Gegensatz zu früher häufiger überleben oder länger damit leben.

Wann braucht es den «Knochenschlosser»? Gemäss der Empfehlung von Dr. Magyar eigentlich erst dann, wenn alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft und die Beschwerden wirklich unerträglich geworden sind. Es lohnt sich, eine Prothesenersatz-Operation bis in das Seniorenalter hinauszuzögern. Das hat laut Magyar zwei Gründe. Einerseits muss in diesem Alter die Prothese natürliche Funktionsverluste weniger stark kompensieren. Andererseits ist mit der heutigen Lebensdauer einer Prothese von 15-20 Jahren eine Zweitoperation meist nicht mehr notwendig.

Die Entscheidung wird aber der Spezialist (Orthopädischer Chirurge) mit jedem Patienten individuell treffen.

knieprothese-computer-statt-arzt-1

Knieprothese

Die heutige Prothese ist ein Ersatz für die durch Arthrose zerstörte Gelenksoberfläche des Ober- und Unterschenkels.

Die verschlissenen Knorpel- und Knochenschnitten werden während der Operation herausgeschnitten und durch künstliche Oberflächen (Metall) ersetzt. Dazwischen wird eine freibewegliche Kunststoffgleitfläche eingesetzt. Diese ersetzt den Meniskus. Die Prothese sollte möglichst nahe an die anatomische Vorlage herankommen und die Strukturen im Knie so gut es geht erhalten. Vor allem auch die Anteile, welche mit den wichtigen Propriorezeptoren ausgestattet sind, damit das natürliche Gefühl im Knie erhalten bleibt.

Operation

Die Operation wird immer von einem spezialisierten Chirurgen (Orthopäden) durchgeführt, dem ein hochspezialisiertes Team aus verschiedenen Disziplinen zur Verfügung steht.

Der Computer hilft die optimale Position der Prothese zu finden und unterstützt den Operateur dabei den Eingriff möglichst minimal invasiv, d.h. schonend und unter bestmöglicher Erhaltung der gesunden Strukturen (Muskel, Bänder, Propriorezeptoren) durchzuführen.

Vorteil: Das Blutungsrisiko und die Luxationsgefahr sinken, die Patienten können rascher mobilisiert werden und der Spitalaufenthalt wird kürzer.

Einsatz des Computers

Der Computer kann vor der Operation zur Erstellung eines Computermodells eingesetzt werden.

Im Orthopädiezentrum Zürich wird diese Computermodell-Methode eingesetzt. Dabei können mit Hilfe des Computertomographen vor der Operation die wichtigsten Daten (Achse, Hüftrotation) erfasst werden und der Computer erstellt ein imaginäres Modell des Knies mit der Prothese. Mit diesem Modell kann die optimale Platzierung der Prothese in verschiedenen Variationen durchgespielt werden.

Vorteile dieser Methode: Die Planung findet vor der Operation statt, es sind keine zusätzlichen Bohrungen notwendig, die Operationszeit ist kürzer, die Schnitte kleiner und es braucht insgesamt weniger Material zur Durchführung des Eingriffes. Ein Nachteil besteht darin, dass während der Operation der Computer nicht mehr zur Verfügung steht und allfällige Korrekturen ohne Hilfe des Computers vorgenommen werden müssen.

Aber auch während der Operation kann der Computer bei der sogenannten CAOS-Methode (Computer Assisted Orthopedic Surgery, also der Computer assistierten orthopädischen Chirurgie) eingesetzt werden.

Bei der CAOS Methode werden während der Operation über Sensoren laufend Daten an den Computer übermittelt, welcher die Lage des Kniegelenks im Raum analysiert. Damit kann der Operateur mit einer Präzisionstoleranz von ca. 1/3 mm arbeiten. Notwendige Korrekturen können während der Operation vorgenommen werden. Nachteil dieser Methode: Zum Anbringen der Sensoren müssen zusätzliche Löcher in den Ober- und Unterschenkel gebohrt werden. Dadurch dauert die Operation länger, da die notwendigen Daten für den optimalen Einsatz der Prothese erst während der Operation erfasst werden.

Fazit zur Frage Computer statt Arzt: Computer ohne Arzt geht noch nicht, wird wahrscheinlich auch nie gehen. Arzt ohne Computer würde immer noch gehen, aber mit Hilfe des Computers kann der Eingriff präziser, schonender und rascher durchgeführt werden.

Gefahren

In der Regel verläuft die Operation ohne Komplikationen. Selten kommt es zu Lockerung der Prothese, Infektionen, Ausrenkungen, Nervenverletzungen, Blutverlust oder Thrombosen. Die Operation ist immer Teamwork: Anästhesie, Chirurge, Technische Assistenten, Desinfektion, Putzequipe sind alle gleich wichtig um einen reibungslosen, komplikationslosen Ablauf, der eine enorme Logistik erfordert, zu gewährleisten.

Ganz wichtig ist auch, die Knieprothesen nur dort einzusetzen, wo es wirklich Sinn macht. Ein Artikel im Spiegel vor ca. 10 Jahren berichtete, dass in Deutschland ca. 30% der Patienten unzufrieden mit ihrer Knieprothese seien. Die Gründe dafür sind unklar. Aber es ist eine Tatsache, dass in der Schweiz pro Kopf ca. 30% weniger Knieprothesen gemacht werden als im Ausland. Möglicherweise sind es genau diese 30%, wo eine Knieprothese keine optimale Lösung darstellt.

Nachbehandlung

Gegenüber früheren Operationen hat die heutige Kniegelenk-Ersatzoperation deutliche Vorteile:

Sofortige Mobilisation – keine Bettruhe – Spitalaufenthalt ca. 1 Woche, meistens wird keine stationäre Nachbehandlung notwendig, Stöcke werden je nach Bedarf während ca. 1 Monat eingesetzt. Die volle Beweglichkeit des Kniegelenkes wird in der Regel nach ca. 3 Monaten erreicht, bis dahin können Stöcke in Ausnahmesituationen hilfreich sein (holprige, unebene Wege im Wald oder über Land).

Leben mit der Prothese

Mit der Prothese sollte das Kniegelenk wieder schmerzfrei bewegt werden können. Im Prinzip sind alle Aktivitäten wie vorher möglich. Auch beim Sport gibt es eigentlich keine Einschränkungen, natürlich immer dem Alter angemessen und nicht Leistungssport orientiert. Empfohlen werden z. B. kniegelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Nordic Walking, Wandern.

Interview mit Dr. Magyar

Herr Dr. Magyar, wie viele Knieprothesen pro Jahr werden im Orthopädiezentrum Zürich eingesetzt?

Etwa 70 Mal pro Jahr ersetzen wir bei Patienten am Orthopädiezentrum in Zürich das Kniegelenk mit einer Knieprothese.

In welchen Situationen empfehlen Sie den Patienten mit der Prothese noch zu warten und was können die Patienten tun, um während der «Wartezeit» die Beschwerden möglichst erträglich zu gestalten?

Bei leichteren Arthrosen-Beschwerden mit noch guter Kniefunktion raten wir mit der Operation noch zu warten.

Auch bei Patienten unter 65 Jahren bin ich mit der Kniegelenkersatz-Operation und dem Einsatz einer Vollprothese sehr zurückhaltend.

Zum Überbrücken der «Wartezeit» steht ein grosser Strauss an konservativen Möglichkeiten (Physiotherapie, Medikamente, Spritzen, Bandagen, Rheumakuren etc.) zur Verfügung. Hier kann der Hausarzt oder der Rheumatologe dem Patienten weiterhelfen.

In welchen Situationen stellt die Knieprothese keine optimale Lösung dar?

Bei Patienten, deren Kniefunktion nur wenig eingeschränkt ist, bei Knieschmerzen, die vorwiegend bei überhöhten Leistungsansprüchen auftreten und insbesondere bei jüngeren Patienten sind wir sehr zurückhaltend und empfehlen, die Operation noch hinauszuschieben.