Hirslanden Fachartikel

Bei längeren Fahrten mit dem Rennvelo treten oft Beschwerden auf. Wie kann man vorbeugen oder im akuten Fall handeln?

Rennvelo Tipps

Text: Simone Liedtke, erschienen am 6. August 2023 in der NZZ am Sonntag.

Etwas Leidensfähigkeit ist für den ambitionierten Gümmeler und die ehrgeizige Rennvelofahrerin Voraussetzung, auch wenn im Hobbybereich gefahren wird. Nach einigen Stunden auf dem Velo können sich verschiedenste Beschwerden bemerkbar machen, die sich allerdings durch eine Optimierung an Bike und Haltung und die richtige Vorbereitung lindern oder gar verhindern lassen. Von ihren Erfahrungen auf langen Touren erzählen Claudio, 55 Jahre alt und seit 15 Jahren auf dem Rennvelo, und Judith, die jährlich um die 14 000 Kilometer mit dem Velo fährt. Praktische Übungen zur Vorbereitung und Vorbeugung von Schmerzen kennt André Buurma, Leiter der Physiotherapie der Hirslanden Klinik im Park und selbst Triathlet.

Lange Touren können schmerzhaft sein. Wenn das Velo zum Fahrer passt, ist schon viel dagegen getan.

Vorbereiten und vorbeugen

In einem sind sich sowohl Physiotherapeut als auch Sportler und Sportlerin einig: Am Anfang einer beschwerdearmen Tour steht ein gründliches Bike-Fitting. Stimmen die Grösse des Velos, der Sattel, die Sitzposition, die Haltung, die Positionierung der Cleats, ist das die halbe Miete. Um den Körper ideal auf die Belastung einer mehrstündigen Tour vorzubereiten, empfiehlt André Buurma drei- bis viermal in der Woche ein Ausdauertraining auf dem Velo, das in Länge und Intensität sukzessive erhöht wird. Anfänger beginnen idealerweise bei 30 Minuten. Zur Stärkung der Rumpfmuskulatur und als vorbeugende Massnahme gegen Rücken- und Nackenschmerzen nennt Buurma drei Übungen: 1. Unterarmstütz, 2. Superman-Übung, 3. Diagonale im Vierfüsslerstand. Optimalerweise werden diese Übungen zwei- bis dreimal wöchentlich ausgeführt. Zusätzlich dient das tägliche Stretching der oberen Oberschenkelmuskulatur, der Rückseite der Oberschenkel, der Hüftbeuger und der tiefen Gesässmuskulatur plus die Extensionsübung Cobra der Erhöhung der Beweglichkeit.

Rücken und Nacken

Trotz gründlicher Vorbereitung führen die gebückte Haltung und das Anheben und seitliche Anwinkeln des Kopfes nach ein paar Stunden zu Verspannungen und Schmerzen. Damit sich diese besser aushalten lassen, empfiehlt Routinier Claudio, öfter die Position zu ändern, zum Beispiel durch Wechseln vom Sitzen ins Stehen. Viele sitzen falsch auf dem Sattel, was ebenfalls zu Rücken- und Nackenbeschwerden führen kann. Hier hilft das Bike-Fitting. Mittels Videoaufnahmen der Sitzposition und des Bewegungsablaufs können Fehlstellungen erkannt und zusätzlich mit einer Satteldruckmessung die Sitzposition optimiert werden.

Hände, Füsse und Knie

Auf den Handgelenken und Händen lastet viel Druck, je nach Vorneigen des Oberkörpers. Das kann zu Taubheit in den Händen führen. Ab und zu die Hände vom Lenker zu nehmen und zu bewegen, helfe auf der Tour, sagt Claudio. Im Bike-Fitting bieten Veränderungen in der Höhen- und Längeneinstellung des Lenkers eine Optimierung der Griffposition, was das Taubheitsgefühl vermindert. Öfter macht es jedoch Sinn, den Lenkervorbau zu wechseln, damit die Länge des Velos auf den Fahrenden passt. Die Position der Cleats ist in vielerlei Hinsicht entscheidend. Je nachdem, ob sie weiter vorne oder hinten am Schuh montiert sind, verändert sich der Hebel. Bei einem längeren Hebel muss mehr Stabilisationsarbeit geleistet werden, was zur Ermüdung der Wadenmuskulatur führen kann. Ein kürzerer Hebel entlastet Achillessehne, Fersen und Knie. Gegen Taubheit und gegen punktuelle Druckstellen helfen Einlagen zur Stützung des Fussgewölbes. Schmerzen in den Knien können von einer Fehlstellung des Sattels herrühren. So führte bei Claudio ein zu tiefer Neigungswinkel des Sattels zu einer übermässigen Belastung auf die Knie.

Gesäss

Die Investition in eine qualitativ hochstehende Velohose lohnt sich, genauso wie das Tragen der Velohose ohne Unterwäsche. Gegen Wundscheuern hilft Auftragen einer Sitzcrème. Vielfahrerin Judith empfiehlt die Crème von Assos. Zudem fahre sie besser mit Haaren im Intimbereich, da Schamhaare den Schweiss drainierten. «Rasiert man die Schamhaare, entstehen eher eingewachsene Haare, die sich durch die Reibung und den Schweiss entzünden können», sagt Judith. Den passenden Sattel zu finden, ist ein Prozess. Frauen brauchen in der Regel breitere Sättel, Männer schmalere. «Die Vorzüge sind so unterschiedlich wie die Anatomie der Menschen», sagt Judith, «ich kenne Velofahrer, die sich wohler fühlen auf einem Damensattel, da er den Druck besser verteilt und so einem Taubheitsgefühl des Damms und der Geschlechtsteile entgegenwirkt.»