Hirslanden Fachartikel

Aus Ungeduld, weil wir keine Lust haben oder aus Zeitmangel lassen wir das Warm-up vor dem Training gerne sausen. Dabei wäre es aufgrund von gleich mehreren Gründen sehr wichtig, wie Physiotherapeutin Nicole Dietrich von der Hirslanden Klinik Linde im Interview erklärt.

Erschienen im «Sonntagsblick vom 11. Juni 2023», Autorin: Cilgia Grass

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Dieses Paar macht es richtig: Erst den Körper auf Betriebstemperatur bringen, dann loslaufen.

1 Gelenke werden auf erhöhte Belastung vorbereitet

Durch Bewegung – insbesondere durch die ­gezielte Mobilisation der Gelenke – sondert die Gelenkkapsel Gelenkschmiere ab. Diese wird vom Knorpel wie von einem Schwamm aufgesogen. Folglich nimmt die Druckbelastung auf den Knorpel ab, was für die darauffolgende Belastung ein wichtiges Ziel ist. «Kurz: Aufwärmen schützt Gelenke vor Abnützung – aus meiner Sicht ein sehr wichtiges Argument für das Aufwärmen», sagt Physiotherapeutin Nicole Dietrich von der Hirslanden Klinik Linde Biel BE. Die Mobilisation (Durchbewegen der Gelenke) sollte aktiv ausgeführt werden. «Es gilt zu beachten, dass die Gelenke der darauffolgenden Belastung entsprechend bewegt werden. Ein Tennisspieler etwa sollte die Schulter in alle Positionen führen, die für seine Schläge notwendig sind.»

2 Warme Muskulatur ist belastbarer

Bei einem intensiven und rund 20-minütigen Aufwärmen erhöht sich die Muskeltemperatur. Dabei nimmt die Viskosität (Zähigkeit) des Muskels ab und die Elastizität zu. Dies führt dazu, dass Muskeln belastbarer und ­ideal auf sportliche Anforderungen vorbereitet werden. Sie sind dadurch auch weniger ­anfällig für Zerrungen und andere Verletzungen. Denn, wie Expertin Nicole Dietrich sagt: «Muskelverletzungen sind im Sport sehr ­häufig. Deshalb lohnt es sich, neben einem ­allgemeinen Aufwärmen ein der persönlichen Sportart angepasstes Aufwärmprogramm zusammenzustellen und so die Muskulatur auf die nachfolgende Belastung spezifisch vorzubereiten.» Bei Spielsportarten sollten zum Beispiel vor dem Training einige Stop-&-Go-Bewegungen durchgeführt werden.

3 Auch Herz-Kreislauf-System und ­Lunge müssen aufgewärmt werden

Beim Autofahren geben wir erst richtig Gas, wenn der Motor warmgelaufen ist. «Auch unseren inneren Motor sollten wir so behandeln», so Dietrich. «Das Herz-Kreislauf-System und die Lunge müssen auf die bevorstehende Belastung vorbereitet werden.» Durch das Aufwärmen atmen wir intensiver, der Kreislauf wird angekurbelt. So gelangt mehr Sauerstoff in die Zellen. Parallel steigt der Blutdruck an, wodurch die Skelettmuskulatur mit mehr Blut und somit mit den nötigen Nährstoffen versorgt wird. «Je mehr das Herz-Kreislauf-System in der folgenden Trainingseinheit belastet wird, desto mehr sollte diesem Punkt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Beim Tennis etwa sind ein paar Sprints vor dem Spiel wichtig, um den Puls auf das richtige Level zu bringen.»

4 Verbesserte Koordination

Durch das Warm-up erreichen wir eine gute intermuskuläre Koordination, was mit ­einem verbesserten Zusammenspiel der Muskulatur untereinander gleichzusetzen ist. Auf diese Weise werden passive Strukturen wie Gelenke und Bänder optimal belastet und damit auch vor einer Verletzung geschützt. «Das ist aus meiner Sicht das wohl wichtigste Argument für das Aufwärmen», sagt Nicole Dietrich. «Wenn die Muskulatur von schnellen Bewegungen überrascht wird, reagiert sie un­koordiniert. In der Folge bekommen Gelenke und Bänder mehr Belastung ab als erwünscht, was zu Schmerzen oder Verletzungen führen kann.» Darum die Gelenke mobilisieren und danach die Muskulatur mit koordinativen oder stabilisierenden Übungen aufwärmen.

Tipps fürs Warm-up

  • Alle sollten sich aufwärmen, sowohl Freizeit- als auch Profisportler.
  • Wenn die Zeit knapp ist, gestalten Sie lieber die Trainingseinheit kürzer als das Aufwärmen wegzulassen.
  • Gehen Sie zu Fuss oder mit dem Velo ins Training statt mit dem Auto.
  • Im Fitnesscenter ist der Crosstrainer eine gute Möglichkeit, um sich rundum aufzuwärmen. Auch Velofahren eignet sich bestens.
  • Integrieren Sie das Warm-up als festen Punkt ins Trainingsprogramm. Irgendwann ist es wie mit dem Zähneputzen: Man macht es automatisch.
  • Hören Sie Musik zum Aufwärmen. Das macht gleich viel mehr Spass.
  • Planen Sie für ein gutes, allgemeines Warm-up rund 10–15 Minuten ein. Mobilisieren Sie die Gelenke, laufen Sie sich 4–5 Minuten mit einer Herzfrequenz von 60–80 % der maximalen Herzfrequenz warm. Darauf folgen kräftigende Übungen und aktiv dynamische Dehnübungen.
  • Wenn Sie bei der Ausübung Ihres Sports eine spezifische Muskulatur besonders beanspruchen, müssen Sie diese unbedingt schon beim Aufwärmen berücksich­tigen. Ein Tennisspieler beispielsweise hat beim Aufwärmen viel zu tun. Für den Aufschlag muss er die Schulter- und Wirbelsäulenmuskulatur aufwärmen, für die Bewegung auf dem Platz ist es in erster Linie die Beinmuskulatur.